Mehr ökonomische Grundbildung an deutschen Schulen fordern die Wirtschaftsverbände – wieder einmal. Dabei praktizieren tausende Schulen bereits eine Variante, die moderner und praxisnäher kaum sein könnte. In Schülerfirmen lernen Teenager, wie man investi
Die 16jährige Susanne Ober erlernt gerade ein paar Grundkompetenzen, die vielen jungen Leuten fehlen. „Bis vor Kurzem konnte ich keine Quittung schreiben“, sagt die Schülerin der elften Klasse. Einer der Fehler: Sie trug ihren Namen im falschen Feld ein, adressierte die Quittung damit an sich selbst, nicht an die Empfängerin. „Nächster Versuch“, der Lehrer gab ihr die Formulare zurück – bis es klappte.
Susanne Ober trägt einen Pullover, Pulswärmer und Halstuch – es ist kühl in Klein-Machnow, dem Vorort der Gutsituierten südlich von Berlin. Jetzt beginnt die Zeit der Herbst- und Weihnachtsbasare – und damit das große Geschäft der Schülerfirma „Steinbrücke GbR“, für die Ober am Morgen des ersten Oktobersamstags die Verkaufstische aufgebaut hat. Der Betrieb, getragen von einem guten Dutzend Schüler und Schülerinnen der Waldorf-Schule Märkisches Viertel in Berlin, kauft Mineralien – Bergkristall, Achat, Lapislazuli – und verkauft sie mit sattem Gewinn weiter. Der Erlös wird gespendet – unter anderem an ein Straßenkinderprojekt in Madagaskar.
Die Steinbrücke ist eine von rund 3.000 Schülerfirmen, die an deutschen Schulen selbstorganisiert arbeiten, meist zusätzlich zum normalen Unterricht. Andere Beispiele: Die Schüler-Genossenschaft „Schoolart“ in Oldenburg, die Plakate und Internetauftritte gestaltet, oder „The Organizers“ aus Köln, die Kongresse organisiert. Was die Schüler über Geld, Markt und Preise noch nicht wissen, lernen sie, indem sie probeweise selbst als Unternehmer tätig sind. Moderner und lebensnäher kann Bildung kaum sein.
Augenblicklich amtiert Finóla Mitchell als „Monatschefin“ der Steinbrücke. Für ein paar Wochen leitet sie die wöchentlichen Sitzungen und wacht darüber, dass der Laden läuft. Haben sich für den Verkaufsstand am nächsten Wochenende genügend Mitschüler gemeldet, welche Eltern stellen ihr Auto für den Transport der Steine zur Verfügung? „Als Chef muss man auch lernen, streng zu sein“, sagt die rothaarige 16Jährige mit irischen Wurzeln. Die Mitstreiter freundlich ermahnen, die verabredeten Vorhaben im Auge behalten, Verantwortung für das Ganze übernehmen, das sind Fähigkeiten, die die Schüler in ihrem eigenen Betrieb lernen – was für ihre Leistungen in den übrigen Fächern keinesfalls von Nachteil ist.
Mit ihrem Lehrer Michael Benner, der das Schülerprojekt offiziell vertritt, fahren die Steinbrücke-Jugendlichen einmal jährlich nach Idar-Oberstein, der deutschen Hauptstadt des Mineralienhandels. Auf den Höfen der dortigen Großhändler liegen die Halbedelsteine tonnenweise in langen Reihen. „Wir haben rund 7.000 Euro in bar dabei“, erzählt Susanne Ober – einen Teil des Gewinns des vergangenen Jahres. Nun geht es darum, richtig zu investieren. Welche Steine, in welcher Menge und Qualität, zu welchem Preis?
Dabei müssen die Schüler-Unternehmer an die Wünsche ihrer Kunden denken. Das sechsjährige Mädchen, dass jetzt beim ersten Oktober-Basar am Verkaufstisch steht, hat vier Euro dabei und möchte möglichst viele von den kleinen glänzend-grünen Malachit-Steinen kaufen. Aber auch die großen Brocken, die sich als Blickfang für das Entrée eines Klein-Machnower Einfamilienhauses eigenen und 1.000 Euro kosten können, müssen vorhanden sein. Damit der Betrieb funktioniert, kommt vieles zusammen: Zusammenarbeit im Team, Geschäftsglück, psychologisches Geschick im Umgang mit den Käufern und manches mehr.
So macht die Steinbrücke jedes Jahr aus rund 7.000 Euro Investitionskapital etwa 16.000 Euro Umsatz. Mehr als 100 Prozent Gewinn – stecken sich die Schüler den in die eigene Tasche? „Warum ich bei der Steinbrücke bin“, sagt Finóla Mitchell, „ist ganz einfach: Als Einzelne kann man nicht viel machen, aber gemeinsam können wir anderen helfen.“ Bei ihrer alljährlichen „Spaghetti-Sitzung“ – benannt nach dem Abendessen – entscheiden die Firmenmitglieder, wieviel tausend Euro sie dem Straßenkinderprojekt in Madagaskar spenden, wieviel für Ghana und wieviel für die Behindertenschule in Togo.
Gutes tun zu wollen, ist aber nicht einzige Motivation. Der 18jährige Tobias Kühl, Schüler der 13. Klasse der Gesamtschule Flötenteich in Oldenburg, empfindet es als Vorteil, sich „ein bisschen erwachsen zu fühlen“. Als Mitglied der Schülergenossenschaft Schoolart wirkt er daran mit, den Internetauftritt des Museums für den Oldenburger Zeichner Horst Janssen zu pflegen. Die Arbeit als selbstverantwortlicher Gestalter kommt Kühl viel näher, als nur dem Lehrplan des Unterrichts zu folgen. Und Kühls Schoolart-Genosse Pascal Mühlhausen (18) will aus der Firma gleich einen beruflichen Vorteil ziehen: Er möchte mit Fotografie und Bildgestaltung später zu seinem Beruf machen.
Praktisches Wissen über Wirtschaft plus Berufsperspektive – das ist schon eine ganze Menge. Thomas Retzmann von der Universität Duisburg-Essen sagt trotzdem: „Ökonomisches Urteilsvermögen ist mehr als praktisches Wirtschaften“. Der Professor der Wirtschaftsdidaktik hält Schülerfirmen für sinnvoll, meint jedoch, dieser Ansatz reiche nicht aus. „Um beispielsweise das Thema `Mindestlohn` zu behandeln, muss man andere Formen des Unterrichts wählen“, so Retzmann. Im Auftrag der Auftrag der großen Wirtschaftsverbände hat Retzmann deshalb ein Konzept entwickelt, das er am heutigen Mittwoch (6.10.) in Berlin präsentiert. Das Ziel: Ökonomische Bildung soll systematisch in Fächer wie Mathematik, Politik oder Englisch integriert werden.
Info-Kasten
Die Firmen
Steinbrücke GbR, Berlin
Die Schülerfirma der Waldorf-Schule Märkisches Viertel kauft Mineralien und Schmuck aus Halbedelsteinen bei Großhändlern und verkauft sie mit großer Handelsspanne weiter. Den Gewinn von über 10.000 Euro pro Jahr nach Abzug minimaler Verwaltungskosten spenden die Schüler komplett an soziale Projekte.
Schoolart Genossenschaft, Oldenburg
Die nachhaltige Schülergenossenschaft Schoolart der Gesamtschule Flötenteich gestaltet Internetseiten, Plakate und Flyer. Die Firma arbeitet seit 2006 und wickelt ein Dutzend Aufträge pro Jahr ab.
www.ni.schule.de/~igsflt/schoolart/
The Organizers, Köln
Der Schüler-Betrieb der Höheren Handelsschule des Berufskollegs Deutzer Freiheit organisiert Kongresse und Catering. Ihre Spezialität: Im Rahmen eines EU-Projektes kooperiert sie mit Schülerfirmen aus Finnland, der Türkei, England und anderen Staaten.