Gürtel enger schnallen trotz Aufschwung

Die Bundesregierung erhöht ihre Wachstumsprognose 2010 auf 3,4 Prozent. Die Steuereinnahmen steigen. Muss der Staat jetzt mehr oder weniger sparen?

Eine optimistische Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung veröffentlichte am Donnerstag die Bundesregierung. Um 3,4 Prozent soll die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr steigen, sagte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Damit lägen die Folgen der Wirtschaftskrise bald hinter uns, und selbst die „Vollbeschäftigung“ sei kein unrealistisches Ziel mehr, erklärte Brüderle.

Hinzu kommt: Die Steuereinahmen entwickeln sich in 2010 und vermutlich auch in 2011 entgegen den bisherigen Annahmen erfreulich. Deshalb könnte die Regierung jetzt eigentlich ihre Haushaltsplanung für die kommenden Jahre anpassen. Doch davon will die Koalition aus Union und FDP nichts wissen. „Wir halten am Sparpaket fest und ändern nichts an seinem Volumen“, sagte Brüderle. Schwarz-Gelb will bis 2011 rund elf Milliarden Euro und bis 2012 nochmals acht Milliarden Euro einsparen – einen guten Teil davon durch Kürzungen im Sozialbereich, bei der Arbeitsförderung und dem Elterngeld für Hartz-IV-Bezieher. Auch Steuererhöhungen für Flugtickets, Energie und Finanzdienstleistungen sind geplant.

Bislang ging die Regierung davon aus, dass sie in diesem Jahr ein strukturelles Defizit im Bundeshaushalt von rund 53 Milliarden Euro durch neue Kredite finanzieren muss. Weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zur mittelfristigen Reduzierung der Neuverschuldung zwingt, muss dieses Defizit bis 2016 um rund acht Milliarden Euro pro Jahr sinken – deshalb das Sparpaket.

Die bessere Wirtschaftslage verändert die Rechnung nun jedoch. Die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden würden stark zunehmen, erwarten Wirtschaftsforscher. So rechnet Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) mit Zusatzeinnahmen von etwa zwölf Milliarden Euro in diesem Jahr, wovon rund die Hälfte dem Bund zugute käme. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) könnte schätzungsweise sechs Milliarden Euro mehr verbuchen als geplant und sich für 2011 auf einen ähnlichen Betrag freuen.

Mit den höheren Einnahmen würde auch das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt sinken. Und damit verkleinerten sich ebenso die notwendigen Reduzierungsschritte bis zur Einhaltung der Schuldenbremse auf rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Wozu, so fragt sich unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, soll man dann noch elf Milliarden Euro bis 2011 und weitere acht Milliarden bis 2012 einsparen?

Minister Brüderle gab darauf zwei Antworten. Zum Einen könne und müsse der Staat seine Aktivität zurückfahren. Weil mehr Menschen arbeiteten, die Löhne stiegen und die Unternehmen investierten, würden die selbstverdienten Einnahmen der Bürger die staatlichen Ausgaben ersetzen.

Zum Zweiten, so Brüderle, habe die FDP ihren Plan, die Einkommenssteuer zu senken, nicht aufgegeben, sondern nur verschoben. Dafür will zumindest der liberale Teil der Bundesregierung den neuen finanziellen Spielraum nutzen – nicht für Sozialpolitik oder zusätzliche öffentliche Investitionen.

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Die Wachstumsprognose

Nach 3,4 Prozent in 2010 soll die Wirtschaftsleistung 2011 um 1,8 Prozent zulegen, erwartet die Bundesregierung. Behält die Regierung Recht, wird die deutsche Ökonomie Mitte bis Ende 2011 wieder auf dem Niveau angekommen sein, das sie vor der Krise erreicht hatte. Für die mittelfristige Zukunft wagte der Minister ebenfalls eine Prognose: Um „knapp zwei Prozent jährlich“ werde die Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren wachsen. Für das kommende Jahr erwartet der Minister, dass die Zahl der Arbeitslosen durchschnittlich unter drei Millionen sinkt. Die Erwerbstätigkeit soll mit 40,6 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreichen. Der Analyse des Wirtschaftsministeriums zufolge wird der Aufschwung inzwischen überwiegend von der Binnennachfrage getrieben. Diese soll 2010 um 2,4 Prozent zunehmen und damit den größeren Teil zum gesamten Wirtschaftswachstum beitragen.