Herzlose Fabrik oder bäuerliche Romantik?

Die Landwirtschaft ist wieder Thema

In den kommenden zehn Tagen werden die Besucher der Internationalen Grünen Woche (IGW) in Berlin wieder einen Eindruck vom Landleben bekommen. In der Tierhalle werden Supermilchkühe die neugierigen Blicke der Städter ertragen, Kinder fröhliche Ferkel streicheln. In den Messehallen unter dem Funkturm führt die Landwirtschaft eine heile Welt vor. Dass Ferkel in der Zucht gar nicht so unbesorgt tollen, sondern mitunter immer noch schmerzhaft ohne Betäubung kastriert werden, steht nirgends. Darüber spricht auch der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Gerd Sonnleitner, nicht. „Wir gehen im Tierschutz weltweit führend voran“, verteidigt er die Massentierhaltung generell vor Angriffen.

Doch die Kritik an herzlosen Agrarfabriken und effizienten Großbetrieben ist mit den Dioxinfunden in Eiern und Fleisch wieder vernehmlich geworden. „Wir haben es satt“, heißt folgerichtig das Motto einer Demonstration gegen die industrialisierte Landwirtschaft, die am Samstag Tausende vor das Brandenburger Tor locken soll. Einer der Veranstalter ist die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), deren Chef Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf ist. „Wir brauchen einen Systemwechsel“, fordert der Biobauer. Wenn es nach dem Willen der Kritiker ginge, würde der Einsatz von Gentechnik verboten und die Subventionen an ökologische oder gesellschaftliche Gegenleistungen gekoppelt. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner solle doch die entsprechenden Vorschläge der EU-Kommission unterstützen.

Bei Sonnleitner stößt die Kritik auf Unverständnis. Massentierhaltung sei ein „Kampfbegriff“, die Vorstellung einer kleinbäuerlichen Welt für eine „romantische Verklärung“. An den Subventionen will der DBV nicht rütteln. „30 bis 50 Prozent des Einkommens einer Bauernfamilie stammt aus den EU-Zahlungen“, erläutert Sonnleitner. Was er nicht sagt ist, dass die großen Betriebe bisher besonders viel Geld aus Brüssel bekommen haben.

Hintergrund des Streites ist neben der grundsätzlichen Frage, wie Nahrungsmittel produziert werden sollten, die anstehende Reform der europäischen Agrarpolitik. Das wird in den Räumen hinter der Schlemmermeile ausgekungelt, zum Beispiel auf einer Agrarministerkonferenz. Die Förderung der Landwirtschaft soll nicht mehr kosten. Zugleich wollen die Beitrittsländer stärker davon profitieren. Deutsche Landwirte bekommen also weniger. Die Bundesregierung will zusammen mit Frankreich allzu große Einbußen verhindern und auch die umstrittenen, jedoch effizienten Großbetriebe weiterhin mit Geld aus dem EU-Topf versehen.

Brauchen wir die Agrarindustrie wirklich, um die heute sieben Milliarden Menschen zu ernähren? Baringdorf glaubt das nicht. Die globale Ernährungsindustrie sei nicht zukunftsfähig, weil sie mehr Schaden anrichte als nütze. Die Natur leide an Artenschwund, Pannen würden angesichts der starken Vernetzung sofort gewaltige Ausmaße annehmen. Doch indirekt räumt auch der scharfe Kritiker ein, dass eine bäuerliche Produktionsweise die heutigen Konsumbedürfnisse allein nicht befriedigen kann. Denn die Verbraucher müssten den Fleischkonsum stark einschränken. Auch kräftige Preissteigerungen räumt Baringdorf bei einem Systemwechsel ein.

Diesem Wunsch stehen die Konsumgewohnheiten der Menschen entgegen. Vor allem in den bevölkerungsreichen Schwellenländern wächst der Appetit auf Fleisch rasant, weil sich immer mehr Verbraucher dieses teure Lebensmittel leisten können. Davon leben auch die deutschen Landwirte mit ihren Exporten ganz gut. Deshalb will Sonnleitner an diesem System nichts ändern.

Die Biobranche selbst ist längst auch nicht mehr so unschuldig, wie viele Verbraucher glauben. Denn Effizienz spielt bei der Erzeugung von Bioeiern oder Biogemüse längst eine wichtige Rolle. „Es gibt auch im Biobereich agrarindustrielle Tendenzen“ warnt Thomas Dosch, Präsident des Verbands Bioland. Anders lassen sich die Anforderungen des Handels offenkundig nicht erfüllen.

Landwirte und Ernährungsindustrie beschäftigen auch andere Probleme. Steigende Preise für Agrarrohstoffe, ausgelöst durch Spekulation auf dem Weltmarkt, rufen verarbeitende Industrie und die Politik auf den Plan. Ministerin Aigner sucht nach Instrumenten gegen die Spekulation mit Weizen, Mais oder Soja. Im vergangenen Jahr stiegen die Lebensmittelpreise in Deutschland um 3,6 Prozent. Das geht zum Teil auch auf die Entwicklung an den Weltmärkten zurück, wo Hedgefonds und Banken ein neues Spielfeld entdeckt haben. Haushalte in den reichen Ländern kommen damit noch klar. In den Entwicklungsländern wird der Preisschock zur Katastrophe. „Mehr als 100 Millionen Menschen musste 2008 hungern, weil Spekulanten den Preisanstieg anheizten“, verlangt auch die Enwicklungsorganisation Oxfam Reformen der Finanzmärkte, deren Teil der Welternährung längst geworden ist.