In funktionellen Lebensmitteln sieht die Ernährungsindustrie große Chancen/ Verbraucherschützer bewerten die Produkte kritisch
Während Hersteller immer mehr Gelder in die Produktion von funktionellen Lebensmitteln stecken, warnen Verbraucherschützer vor Brotaufstrichen, die den Cholesterin-Spiegel senken oder Joghurts, die die Verdauung ankurbeln sollen. Doch was verbirgt sich hinter den Nahrungsmitteln? Und: Sind sie wirklich gefährlich?
Allein wer erklären möchte, was funktionelle Lebensmittel (oder engl.: Functional Food) sind, gerät ins Schlingern. Denn eine rechtlich verbindliche Definition gibt es nicht. Einig sind sich Experten allerdings darüber, dass die Produkte neben ihrem Nährwert einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen bieten sollen.
Beim gesundheitlichen Aufpeppen von Lebensmitteln zeigen sich die Hersteller erfinderisch. Müslimischungen oder Säfte bereichern sie mit Calcium, Magnesium, Vitaminen und Zink, was Osteoporose vorbeugen könne. Vitamin C oder E mengen sie Frühstücksgetränken bei – für den Schutz der Körperzellen.
Mit Sicherheit werden noch zahlreiche verblüffende Kreationen folgen. „Im Bereich der funktionellen Lebensmittel wird sehr viel geforscht“, sagt Marion Fürst, Sprecherin bei Danone. 200 Millionen Euro investiert das Unternehmen jährlich in die Forschung und Entwicklung. Für die Zukunft zeigt man sich optimistisch. „Es wird sich noch viel tun, schließlich steckt die Forschung im Bereich
Gesundheit und Ernährung noch in den Kinderschuhen“, so Fürst.
Auch Nestlé setzt verstärkt auf die Vernetzung von Nahrung und Pharma. Erst kürzlich hat der Lebensmittelkonzern die Nestlé Health Science AG sowie das Nestlé Institute of Health Sciences gegründet. Die beiden Organisationen sollen es dem Unternehmen erlauben, eine „innovative Sparte von auf Wissenschaft basierenden personalisierten Gesundheitsprodukten zu entwickeln, welche Gesundheitsbeschwerden wie Diabetes, Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Alzheimer vorbeugen und behandeln.“
In welche Richtung es in Zukunft gehen könnte, zeigt das Unternehmen Milchkristalle. Die Münchner Forscher haben ein Lebensmittel mit hohem Melatoningehalt entwickelt: Nacht-Milchkristalle. Für dessen Herstellung werden Kühe nachts bei rotem Licht gemolken. Die so genannte Nachtmilch enthält besonders hohe Mengen des Schlafrhythmus steuernden Hormons Melatonin.
In den USA gilt es zwar als völlig normal, gegen Schlafstörungen synthetisches Melatonin zu schlucken. Solche Präparate sind hierzulande nicht zugelassen. Dass Nacht-Milchkristalle gegen Schlafstörungen oder vielleicht bei einem Jetlag helfen, bewirbt die elegante, schwarze Verpackung nicht. Würde der Hersteller den – sicherlich verkaufsfördernden – Spruch „Hilft bei Schlafstörungen“ verwenden wollen, müsste er dafür Antrag, bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) stellen. Denn nur Fakten, die wissenschaftlich bewiesen sind, dürfen in der Europäischen Union auf den Produkten stehen.
Für „FruchtZwerge“ von Danone hat die EFSA beispielsweise folgende Aussage genehmigt: „Vitamin D und Calcium werden für ein gesundes Wachstum und eine gesunde Entwicklung der Knochen bei Kindern benötigt.“ Auch wenn irreführende Angaben in der EU verboten sind, könnten Verbraucher sie derzeit dennoch auf Verpackungen finden. Der Grund: Die EFSA ist noch damit beschäftigt, sämtliche Slogans auf ihren wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt hin zu prüfen.
Cholesterinsenkende Margarine, Appetit zügelnde Milchprodukte und probiotische Wurst schlagen Armin Valet auf den Magen. „Sehr kritisch“ sieht der Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg die Designer-Nahrung. „Im Gegensatz zu Arzneimitteln nehmen Verbraucher funktionelle
Lebensmittel nicht kontrolliert ein“, erläutert er. Wer habe schon im Blick, wie viel Cholesterin senkende Margarine er sich aufs Brot streicht, in der zwar Sterine steckten, die das Cholesterin im Blut senken. Mehr als drei
Gramm davon am Tag könnten sich aber kontraproduktiv auswirken.
Weiterer Knackpunkt: Funktionelle Lebensmittel richten sich an bestimmte Verbrauchergruppen. Bei Cholesterin senkender Margarine sind es Menschen mit einem erhöhten Cholesterin-Wert. „Für Schwangere ist das Produkt keineswegs geeignet“, so Ernährungsexperte Valet. Zwar steht solch ein Warnhinweis auf den Schachteln. Doch nicht jeder Kunde liest sich beim Einkauf sämtliche Produktinformationen durch.