Windparks unter Schalldruck

Die Schweinswale in Nord- und Ostsee haben ein verletzliches Gehör. Doch die Windpark-Betreiber halten den Lärm-Grenzwert zum Schutz der Tiere nicht ein. Trotzdem erlaubt das Bundesamt für Seeschifffahrt, die Pfeiler der Windräder in den Meeresboden zu ra

Ökologie steht gegen Ökologie. Es geht um den sauberen Strom, den die Bundesregierung mit tausenden Wind-Kraftwerken auf der Nord- und Ostsee erzeugen lassen will. Doch im Meer leben auch Schweinswale, Robben und verschiedene Fischarten, die durch den Ausbau der Offshore-Windparks gefährdet sind.

Die empfindlichen Hörorgane der Schweinswale, der einzigen heimischen Walart in deutschen Gewässern, können den Krach der Bauarbeiten nicht vertragen. Deshalb gibt es einen Grenzwert für Unterwasser-Lärm, den das Umweltbundesamt festgelegt hat. Aber den halten die Ingenieure zur Zeit nicht ein.

Am drängendsten ist das Problem beim Windpark Bard Offshore 1, der 90 Kilometer nordwestlich der Nordsee-Insel Borkum entsteht. 15 riesige Windräder auf jeweils drei Beinen stehen dort bereits im Meer. Projektmanagerin und Biologin Susanne Schorcht räumt gegenüber Spiegel Online ein: „Bei den Bauarbeiten haben wir Lärmwerte von 178 dB SEL im Abstand von 750 Metern gemessen.“ Der Grenzwert des Umweltbundesamtes aber erlaubt nur 160 dB SEL, wobei SEL für „Schallexpositionspegel“ steht. Dieser ermöglicht eine Aussage über die Energie eines Schallereignisses, die das Tier erreicht. „Wir wollen das Problem lösen, die Brisanz ist uns klar,“ sagt Schorcht.

Rund 1.800 Windturbinen sollen bis 2020 in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee gebaut werden. Bard Offshore 1 ist einer der ersten Parks. Die Firma aus Bremen ist Vorreiter – auch bei den Schwierigkeiten. Eigentlich sollen die insgesamt 80 Anlagen bis zum Sommer diesen Jahres fertig sein, jede Verzögerung kostet Millionen Euro.

Nicht nur die Betreiberfirma steckt in einem Konflikt, sondern auch die Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg (BSH). Einerseits ist da der Grenzwert für die Wale, den weder die Firma, noch das Amt ignorieren kann. Andererseits sagt BSH-Jurist Christian Dahlke gegenüber Spiegel Online: „Einen Stand der Technik für effektive Maßnahmen zur Lärmminderung bei Offshore-Rammungen gibt es noch nicht.“

Bisher ist die Forschung nicht so weit. Niemand weiß, wie man den Grenzwert einhalten soll, wenn die meterdicken Pfeiler für die Windräder von Schiffen aus mit irrwitziger Kraft in den Meeresboden gehämmert werden.

Was tun? Immer mal wieder versuchen die Offshore-Firmen, den Lärmwert für Wale in Zweifel zu ziehen. Dagegen wehrt sich Meeresbiologin Stefanie Werner, die im Umweltbundesamt daran mitgewirkt hat, die Krachgrenze zu etablieren. „Das UBA hat den Grenzwert bei 160 dB festgelegt, weil Schweinswale ab 164 dB eine kurzfristige Schwerhörigkeit erleiden können“, erklärt Werner. „Das haben wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Kiel ergeben. Noch höhere Lärmbelastungen bedrohen die Überlebensfähigkeit der Tiere, weil sie sich dann möglicherweise nicht mehr verständigen und orientieren können.“

Die Rücknahme des Grenzwertes scheidet für die Bundesämter aus. Sie bieten Bard aber einen Kompromiss an. Während des Baus der nächsten zehn Windräder soll das Unternehmen ein Verfahren gegen den Unterwasserlärm erforschen. „Ab der 25. Anlage muss Bard ein verbessertes Schallschutzkonzept inklusive der versuchsweisen Anwendung einer Lärmminderungstechnik nachweisen,“ sagt BSH-Jurist Dahlke. Ein Baustopp kommt für ihn nicht in Frage. Juristisch lässt sich dieser Kompromiss rechtfertigen, weil der heutige Grenzwert vor einigen Jahren, als Bard erstmals genehmigt wurde, noch den Charakter eines Richtwertes mit geringerer Verbindlichkeit hatte.

Jetzt heißt es „Forschen“, und zwar schnell. Denn künftig müssen die Betreiber den Lärmschutz einhalten. Bisher sind die folgenden Verfahren bekannt:

Kleiner Blasenschleier: Auf den etwa 40 Metern zwischen Meeresboden und Wasseroberfläche werden um die Pfeiler herum in kurzen Abständen Pressluftschläuche angebracht, durch deren Löcher Luftblasen aufsteigen. Es entsteht ein blubbernder Vorhang aus Blasen, der die Schallwellen der Hammerschläge etwas abmildert. Dieses ist das bislang aussichtsreichste Verfahren. Beim Test-Windpark „Alpha Ventus“ wurde damit eine Reduktion um 12 dB erreicht. Trotzdem sagt Bard-Biologin Schorcht: „Ob wir mit dem kleinen Blasenschleier den Grenzwert einhalten, wei? man heute noch nicht.“

Großer Blasenschleier: Um die Rammstelle herum liegt auf dem Meeresboden ein einziger dicker Pressluftschlauch, der Luftblasen aufsteigen lässt. In Versuchen ist dabei das Problem aufgetreten, dass die Blasen auf ihrem vergleichsweise langen Weg zur Wasseroberfläche durch die Strömung weggespült werden. Das reduziert die Schalldämpfung.

Hydro Sound Damper (Wasserschalldämpfer): Darunter versteht man Netze mit Bällen aus Plastik oder anderen Materialien, die um den Pfeiler herum angebracht werden. Dieses Konzept existiert bisher aber nur in der Theorie, praktische Erfahrungen fehlen.

Weil nichts davon bisher marktreif ist, behilft sich Bard einstweilen damit, die Schweinswale von der Rammstelle zu verscheuchen. Auch dafür setzt man Unterwasserlärm ein. Zuerst werden rhythmische Signale ins Wasser gesendet, dann folgt Krach, der fast so laut ist wie der Grenzwert. Nach Angaben der Bard-Leute ist diese Taktik wirksam: Die Wale schwimmen weg, bevor das Rammen beginnt, kommen aber auch zurück, wenn wieder Ruhe einkehrt.

Nicht anfreunden mit derartigen Kompromissen will sich Karsten Brensing. Der Meeresbiologe der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDCS sagt: „Man sollte nur weiterbauen, wenn die Betreiber einen wirklichen Beitrag zur Schallminderung leisten.“ Brensing betont, dass selbst der Grenzwert des UBA keinen ausreichenden Schutz der Wale gewährleiste, weil er nur „für einen einzigen Rammschlag berechnet“ sei. Beim Bau eines Windrades seien aber mindestens hunderte Rammschläge notwendig, wodurch die schädliche Schallwirkung zunehme.

Brensing fordert die Offshore-Firmen auf, alternative Bauverfahren zu erwägen. Beispielsweise könne man die Windräder auf schwimmenden Konstruktionen errichten, wie sie die Ölindustrie benutze. Überlegenswert sei auch die Bohrtechnik der Firma Herrenknecht, die das Rammen mit Hammerschlägen überflüssig mache. „Es ist im Sinne der Windkraft den Schall zu reduzieren“, so Brensing, „welcher grüne Stromkunde würde wohl akzeptieren, dass massenhaft tote Schweinswale an den Strand von Sylt gespült werden?“

Für Susanne Schorcht vom Unternehmen Bard allerdings kommt ein grundsätzlicher Richtungswechsel nicht in Frage: „Wenn wir jetzt auf schwimmende Fundamente oder andere Verfahren wechseln würden, könnten wir vorerst nicht weiterbauen. Weil es sich bei unserem Vorhaben um ein Pilotprojekt handelt, bitten wir die Politik um Nachsicht und Unterstützung.“