Die europäischen Bürger sollen sparen

Wozu würde eine gemeinsame Wirtschaftsregierung der Europäischen Union dienen? Arme Staaten würden konkurrenzfähiger, aber auch deutsche Beschäftigte stünden unter größerem Druck. Eine Analyse

Deutschland ist das Vorbild Europas. So lautete die Botschaft, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag zum Europäischen Rat nach Brüssel reiste. Sie erklärte, schwächere Staaten wie Griechenland oder Spanien stärken zu wollen. Das Mittel dazu wäre eine gemeinsame europäische Strategie, die man inzwischen unter dem Stichwort der „Wirtschaftsregierung“ zusammenfasst.

Darunter muss man sich keine neue Bürokratie mit tausenden Büros in Brüssel vorstellen, sondern einen Katalog mit Zielen, deren Einhaltung die europäischen Regierungen regelmäßig überprüfen. Merkel schwebt vor, die Staatsverschuldung zu reduzieren und Spekulationsangriffe auf den Euro künftig unwahrscheinlicher zu machen. Um diese Wirkung zu erreichen, müssten wirtschaftlich schwächere Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, meint die Kanzlerin.

Ein Beispiel: In manchen Staaten wie Italien und Griechenland gehen die Arbeitnehmer früher in Rente als in Deutschland. Die italienischen und griechischen Unternehmen und Rentenversicherungen tragen deshalb höhere Kosten, die auch die Verkaufspreise der dort hergestellten Güter und Dienstleistungen erhöhen. Steigt dagegen das Rentenalter, sinken die Sozialkosten im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Damit können auch die Preise der Produkte reduziert werden, wodurch Unternehmen und Staat mehr Geld einnehmen.

Vor diesem Hintergrund sinkt grundsätzlich auch die Staatsverschuldung. Die Regierungen müssen weniger Kredite an den internationalen Kapitalmärkten aufnehmen, weshalb das Vertrauen der Investoren in die europäische Währung und damit die Stabilität des Euro zunimmt.

Merkels Idee eines einheitlich höheren Rentenalters hat jedoch auch mögliche Auswirkungen für Deutschland. Während hierzulande die gesetzliche Altersgrenze noch bei 65 Jahren liegt, will beispielsweise Dänemark seine Arbeitnehmer später erst mit 70 in Rente gehen lassen. Eine gemeinsame europäische Rentenpolitik würde also auch den Druck auf die deutschen Beschäftigten erhöhen, länger zu arbeiten.

Entspannter könnten deutsche Arbeitnehmer sein, was Merkels Vorschläge zur Lohnpolitik betrifft. Die Kanzlerin schlägt vor, die automatischen Lohnerhöhungen abzuschaffen, mit denen etwa Portugal und Belgien die Inflation ausgleichen. Deutschland kennt eine solche Kopplung nicht. Für Portugal und Belgien würde die Abschaffung bedeuten, dass die Lohnkosten der Unternehmen und des Staates sinken, was ebenfalls zu größerer Konkurrenzfähigkeit und geringeren Schulden führt.

Bleibt die Frage, ob Merkels Strategie dazu beitragen kann, die Euro-Krise einzudämmen. Einerseits entstünde eine gemeinsame Wirtschaftspolitik – die Basis für das Überleben des Euro. Andererseits bliebe ohne eine Änderung der deutschen Wirtschaftspolitik das Gefälle innerhalb Europas bestehen. Während der vergangenen zehn Jahre stagnierten die Löhne in Deutschland, wodurch deutsche Produkte so kostengünstig sind, dass Unternehmen aus anderen Ländern weniger Chancen haben. Damit Griechen, Portugiesen und Italiener mehr verkaufen und weniger Schulden machen, müssten hierzulande die Löhne stärker steigen. Deutschland kann nur Vorbild sein, wenn es nicht nur fordert, sondern auch gibt.