Mehr Zeit, nicht nur Flexibilität

Kommentar zu familienfreundlichen Arbeitszeiten von Hannes Koch

Mit technischen Innovationen haben deutsche Unternehmen in der Regel keine Probleme, mit sozialen Neuerungen schon. Angeblich 96 von 100 Firmen böten ihren Beschäftigten familienfreundliche Arbeitszeiten an, sagte zwar der Wirtschaftsverband Gesamtmetall, bevor er sich am Dienstag mit Kanzlerin Angela Merkel zu diesem Thema traf. Die alltäglichen Beschwerden der Arbeitnehmer widersprechen allerdings solchen Freudenmeldungen. Viele Erwachsene beklagen die Überforderung, Arbeit und Familienleben unter einen Hut zu bringen.

Was ist die Ursache? Heute wollen beide Geschlechter berufliche Bestätigung erhalten und Geld verdienen. Teilweise müssen sie es auch, weil ein Lohn für den Lebensunterhalt nicht mehr ausreicht. Aber normale Familien sind oft nicht der Lage, die hohen Anforderungen zweier Arbeitsplätze, des Familienlebens und der Kindererziehung zu ihrer eigenen Zufriedenheit und der der Arbeitgeber zu erfüllen. Die Lösung kann nur daran liegen, die zeitliche Gesamtbelastung zu reduzieren. Statt zweier Vollzeitjobs pro Familie liegt die Zukunft eher in Teilzeit-Tätigkeiten mit beispielsweise 30 Stunden.

Für die Unternehmen bedeutet das: Nicht nur mehr Flexibilität, sondern mehr Zeit müssen sie ihren Beschäftigten zugestehen. In Vorständen, Aufsichtsräten, Werkhallen und Büros sollten Firmen teilen lernen. Und zu teilen gibt es genug: Arbeitsplätze zwischen Männern und Frauen, Verantwortung, Sorge um die Kinder, Zeit – und nicht zuletzt Geld.

Gerade dieser Aspekt wird gerne übersehen. Familienfreundliche Arbeitszeiten und Teilzeit-Stellen können Geld kosten. Nicht nur den arbeitenden Ehepartnern, die des Zeitwohlstands halber auf einige hundert oder gar tausend Euro monatlich verzichten. Auch die Unternehmen sollten materielle Abstriche einkalkulieren: Denn in den unteren Einkommensgruppen ist es schwierig, den Lohn entsprechend der Arbeitszeit zu verringern. Manche Firma wird Familienfreundlichkeit deshalb mit höheren Kosten bezahlen. Klar aber ist: Ebenso wie technische Innovationen sind soziale nicht gratis zu bekommen. Man nennt dies Investition.