Vor dem Euro-Gipfel warnt Wirtschaftsweiser Christoph Schmidt vor weiteren Milliarden-Hilfen zugunsten verschuldeter Staaten. Merkels Pakt für Wettbewerbsfähigkeit sei unrealistisch
Koch: Kurz vor dem Euro-Gipfel haben Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit Griechenlands, aber auch Spaniens herabgestuft. Die Euro-Krise könnte in ihre nächste Runde gehen. Was raten Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel – soll Deutschland verschuldete Euro-Staaten mit noch mehr Geld unterstützen?
Schmidt: Augenblicklich sehe ich dafür keinen Bedarf. EU und Euro-Zone sollten Standfestigkeit beweisen. Erstens geht es darum, dass verschuldete Staaten sich möglichst aus eigener Kraft sanieren. Und zweitens gibt es für den Notfall bereits ausreichende Hilfsangebote.
Koch: Die Bundestagsfraktionen von Union und FDP haben sich dagegen ausgesprochen, dass der europäische Rettungsfonds EFSF als neue Hilfsmaßnahme Anleihen verschuldeter Staaten aufkauft. Richtig oder falsch?
Schmidt: Den Aufkauf von Anleihen oder auch die Ausgabe gemeinsamer europäischer Verschuldungspapiere halte ich für einen schlechten Weg. Dadurch würde man falsche Anreize setzen. Für Griechenland, Irland und andere Staaten sänke der Druck, aus eigener Kraft zu sparen.
Koch: Aber auch heute schon leiht sich der Rettungsfonds Geld an den internationalen Kapitalmärkten. Das kommt einer gemeinsamen europäischen Verschuldung gleich. Offizielle Euro-Anleihen würden also keinen prinzipiellen Unterschied machen.
Schmidt: Doch. Mit dem Rettungsfonds haben die Regierungen einen zeitlich begrenzten Hilfsmechanismus etabliert, weil Not am Mann war. Etwas anderes wäre es, die gemeinsame Verschuldung zeitlich unbefristet auszudehnen. Diese Sünde sollten wir in keinem Fall begehen.
Koch: Die griechischen Schulden steigen in Richtung von 150 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dass das Land diese Belastung aus eigener Kraft auf ein verträgliches Niveau senken kann, scheint unwahrscheinlich. Verschließen Sie davor nicht die Augen?
Schmidt: Dass die Sanierung schwierig wird, war klar. Vielleicht dauert sie auch länger als bis 2013. Aber sie erscheint zumindest möglich. Jedenfalls müssen die griechische Regierung und Bevölkerung den ernsthaften Versuch unternehmen, es selbst zu schaffen. Die Anstrengung, zum Beispiel die Renten zu senken und die Kosten des öffentlichen Dienstes zu verringern, sollten wir ihnen nicht abnehmen.
Koch: Sind Sie so zurückhaltend, weil Sie befürchten, dass irgendwann auch starke Staaten wie Deutschland mit zu viel Hilfe überfordert wären?
Schmidt: Soweit sind wir noch lange nicht. Wir haben die Schuldenbremse, Staat und Wirtschaft funktionieren gut. Aber im Extremfall kann zu hohe Verschuldung auch für reiche, produktive Länder ein Problem werden. Wenn wir allen helfen würden, kämen auch wir irgendwann an die Grenze unserer Kräfte.
Koch: Merkel schlägt der EU einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vor. Um zu hohe Verschuldung künftig zu vermeiden, sollen die Euro-Länder Renten und Löhne senken. Das klingt nach Hartz IV für ganz Europa.
Schmidt: Das ist sehr zugespitzt. Merkels Plan erscheint theoretisch plausibel, aber ziemlich unrealistisch. Die Kanzlerin hegt offenbar die Idee, dass jede Euro-Regierung so vernünftig ist, sich an gemeinsame Leitlinien zu halten. Aber wie soll das funktionieren? Soll der EU-Rat Empfehlungen für die Entwicklung der Löhne in den Mitgliedsstaaten geben? Die Tarifpartner in den einzelnen Staaten werden sich dagegen wehren.
Bio-Kasten
Der Ökonom Prof. Christoph Schmidt (48) leitet das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Außerdem ist er Mitglied des Sachverständigenrates für Wirtschaft (Fünf Weise), der die Bundesregierung berät. Schmidt ist unter anderem Spezialist für Fragen des Arbeitsmarktes.
Info-Kasten
Euro-Gipfel
Ab Freitag Nachmittag beraten die Regierungschef der Euro-Staaten, wie sie die Schuldenkrise im Griff behalten und die Gemeinschaftswährung Euro schützen wollen. Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, dass zusätzliche Hilfsmaßnahmen für angeschlagene Staaten wie Griechenland und Irland nicht spruchreif seien. Den Aufkauf von Staatsanleihen verschuldeter Staaten durch die Euro-zone lehnt man ebenso offensiv ab, wie die Aufstockung des Rettungsfonds EFSF. Möglicherweise gibt die Regierung an zwei Punkten nach. Innerhalb des bereits aufgespannten Rettungsschirms von 750 Milliarden Euro könnten größere Summen flüssig gemacht werden. Außerdem stellte Merkel am Donnerstag in Aussicht, die Laufzeit der Kredite für Griechenland zu verländern, um dem Land mehr Zeit für die Sanierung zu geben.