Eingebunden aber mächtig

Wozu brauchen wir die ehemalige Hüterin der harten D-Mark eigentlich noch? Am kommenden Montag fängt der neue Chef der Bundesbank an, Ex-Kanzlerin-Berater Jens Weidmann

Frank Herzogs Haare sind so grau wie das Häuflein Asche vor ihm. Angeblich waren diese verbrannten Schnipsel mal Geldscheine. „Jetzt bitte nicht niesen“, sagt Herzog, „sonst fliegt alles weg.“ Seine großen braunen Augen blicken ins Mikroskop. Und tatsächlich, da, sieht man da nicht einen Teil des Tempels auf dem 50-Euro-Schein?

So geht das manchmal den ganzen Tag. Dann hat Herzog die wahre Identität der bei Wohnungsbränden verkohlten oder von Hunden zerfressenen Geldscheine ermittelt. Er arbeitet bei der Bundesbank in Mainz, in einer Außenstelle, die „Nationales Analysezentrum“ heißt. 20.000 Hilfsanfragen gingen dort 2010 ein. Entpuppen sich die Rudimente unter Herzogs Mikroskop tatsächlich als Geldscheine, erhalten die Besitzer den Wert in frischen Noten von der Bundesbank ausgezahlt.

Doch, die Bundesbank hat was zu tun. Das wird auch für Jens Weidmann gelten, ihren neuen Präsidenten, der am kommenden Montag als Nachfolger von Axel Weber offiziell sein Büro in der Frankfurter Zentrale bezieht.

Früher schützte die Bank die harte D-Mark. Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte wurde die Bundesbank so stark, dass sie ihren Nachbarn die Bedingungen von Sparsamkeit und hohen Zinsen diktierte. David Marsh, ehemaliger Korrespondent der Financial Times, schrieb: „Die Bundesbank herrschte einst über ein größeres Territorium in Europa als jedes Deutsche Reich der Geschichte.“

Aber schon vor 12 Jahren übergab die Bundesbank ihre geld- und währungspolitische Macht an die Europäische Zentralbank (EZB). Vor neun Jahren wurde die D-Mark endgültig ausrangiert. Welche Rolle spielt die Bank heute überhaupt noch?

Die Bundesbank versorgt uns mit Geld. Sie gibt den Druck von Geldscheinen in Auftrag, schickt das Bargeld mit Lkw zu den Geldautomaten und zieht es auch wieder ein – nicht die EZB. Und auch der Staat könnte ohne sie nicht existieren. Montags und mittwochs versteigert die Bundesbank regelmäßig deutsche Staatspapiere an Geschäftsinstitute wie die Deutsche Bank. Die Bundesbank bekommt das Geld, das sie dann an die Regierung überweist. Ohne die Hilfe der Bundesbank würde schon lange kein staatlicher Lehrer mehr bezahlt und kein Schlagloch in den Straßen geflickt.

Außerdem bildet die Bundesbank einen Teil des europäischen Währungssystems. Im höchsten Entscheidungsgremium der EZB sitzen Chef-Ökonom Jürgen Stark und ab Montag Bundesbank-Präsident Weidmann. Die deutschen Vertreter haben im vergangenen Jahr wesentlich daran mitgewirkt, die Hilfspakete für verschuldete Euro-Staaten wie Griechenland und Irland zu schnüren. Diese Entscheidungen fielen allerdings nicht immer im Konsens. Während EZB-Präsident Jean-Claude Trichet durchsetzte, dass die Europäische Zentralbank auch Staatsanleihen notleidender Länder aufkaufte, kritisierte der ehemalige Bundesbank-Chef Weber das als zu großzügige Hilfeleistung.

Kann sich die Bundesbank in Europa also heute noch durchsetzen? Andreas Worms, der die Abteilung für Geldpolitik leitet, sagt: „Die Bundesbank hat ein starkes Gewicht im Rat der Europäischen Zentralbank.“ Das stimmt – einerseits. Und doch ist es ganz anders als früher. Worms und seine Kollegen definieren ihre harte Geldpolitik heute nicht mehr alleine, sondern müssen versuchen, sie in der EZB zu vermitteln. Früher hatten sie 100 Prozent Einfluss auf die Leitzinsen und die Inflationsbekämpfung in Deutschland. Andere Länder waren gezwungen, sich anzuschließen. Jetzt haben Worms und seine Volkswirte vielleicht 30 Prozent Einfluss auf die Entscheidungen im ganzen Euro-Raum. Welche Rolle ist wichtiger?

Die Bedeutung der Bundesbank in Europa sicher nicht gestärkt hat Axel Webers hastiger Abschied infolge des Anleihe-Streits. Nun wird vermutlich nicht er, sondern Mario Draghi, der Chef der italienischen Notenbank, neuer Präsident der EZB. Aber ist das ein Schaden? Nein, Draghi wird den Euro ebenso beschützen, wie Bundesbank-Chef Weber es getan hätte. Denn auch der Italiener lehnt es ab, verschuldete Staaten über Gebühr zu unterstützen und damit den Wert der gesamten Währung auf´s Spiel zu setzen. In jedem EZB-Präsidenten steckt ein guter Teil Bundesbank. Einfach, weil Deutschland die stärkste Macht im Euro-Raum ist und bleibt.

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Jens Weidmann

Der neue Präsident der Bundesbank erhielt am Freitag (29.4.) seine Ernennungsurkunde von Bundespräsident Christian Wulff. Jens Weidmann ist 68er. Geboren in Solingen am 20. April des Jahres der Studentenproteste, ist er der jüngste Chef, den die Bank bislang hatte. Bis vor wenigen Wochen war Weidmann Sherpa („Träger“) von Kanzlerin Merkel im Bundeskanzleramt. Er bereitete für sie die Finanzkrisen-Gipfel der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen vor. Weidmann hatte damit eine zentrale Macht- und Handlungsposition inne, bei deren Ausfüllung er sich wenig Kritik zuzog. Neu im Bundesbank-Präsidium ist demnächst auch Sabine Lautenschläger, die Weidmann vertreten wird.