Um die Bürger vom Umbau der Energiewirtschaft zu überzeugen, ist mehr Beteiligung an der Planung der Bauvorhaben notwendig
Filmregisseur Thomas Jakob lebt in einem Dörfchen mit 68 Einwohnern am idyllischen Spreewald in Brandenburg. In den dritten Fernsehprogrammen läuft noch sein Heimatfilm „Die Hüttenwirtin“, den er vor anderthalb Jahren gedreht hat. Aber auch ohne einen neuen Film hat der 68Jährige genug zu tun. „Ich kämpfe“, sagt er. Drei Kilometer von seinem Dorf Glietz entfernt stehen elf Windräder. „179 Meter hoch“, so Jacob, „von der Dorfstraße aus kann man sie sehen.“
Dass die modernen Kraftwerke auch an vielen anderen Orten gebaut werden, will Jacob verhindern. In Brandenburg spricht er für 26 Bürgerinitiativen, die sich gegen Windanlagen engagieren. Einen bundesweiten Verband gegen Windräder wollen die Aktivisten bald gründen.
Die Zersiedlung der Landschaft, die Schlagschatten der Rotoren, die Geräusche – das ist das Eine. Mindestens ebenso aber stört Jacob der Eindruck, dass Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck die Windparks rigoros gegen die Interessen der Bürger durchsetze. „In der Regel werden die Anwohner systematisch von der Planung ausgeschlossen.“
Keine Frage, dass die Landesregierung diesen Vorwurf zurückweist. Erst kürzlich hat Wirtschaftsminister Ralf Christoffers lange mit den Initiativen debattiert. Vielleicht werden die Formalitäten tatsächlich eingehalten. Und doch bleibt ein entscheidender Punkt: Im Zusammenhang mit dem Ausbau der erneuerbaren Energie beklagt sich eine nennenswerte Anzahl von Bürgern über ein Demokratiedefizit.
Das ist ein Problem. Eines, das den Neubau tausender Wind- und Solarkraftwerke, der dringend notwendigen Stromleitungen, die gesamte Energiewende blockieren kann, die durch den schnelleren Ausstieg aus der Atomkraft in greifbare Nähe rückt. Wenn der Umbau des Energiesystems – eine Mega-Aufgabe für die kommenden 50 Jahre – gelingen soll, darf die Politik dies nicht gegen eine breite Protestbewegung durchsetzen. Die Frage lautet: Wie schaffen es die Regierungen, mehr Akzeptanz für die Energiewende zu organisieren?
Thomas Jacob kennt die Antwort bereits. „Wir fordern eine nachvollziehbare Planung unter Beteiligung der Bürger.“ Und was wäre, wenn diese Forderung erfüllt würde? Gäbe es dann keinen Protest gegen Windkraftwerke mehr? „Wenn nach einem transparenten Verfahren 60 Prozent der über Windkraft aufgeklärten Bürger einer Planungsvariante für den Ausbau zustimmten, würden wir unsere Gegenwehr einstellen.“ Das klingt auch nach einem Hintertürchen. Trotzdem: Mehr Bürgerbeteiligung, mehr Mitbestimmung kann dazu beitragen, politische Konflikte zu entschärfen – siehe die Schlichtung um den Bahnhof Stuttgart 21.
Anstrengungen in diese Richtung seien überfällig, meint Miranda Schreurs. Die Professorin für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin sitzt in der Ethikkommission, die im Auftrag von Kanzlerin Angela Merkel über den Atomausstieg berät. Schreurs, eine Amerikanerin, die seit Jahren in Deutschland arbeitet, sagt: „Vieles wird hier noch im Top-Down-Verfahren entschieden.“ Ihr Rat: „Die Politik sollte eine grundsätzliche Debatte über das neue Energiesystem eröffnen.“
Wie schnell wollen wir den Systemwechsel bewerkstelligen? Auf welche Energiequellen setzen wir besonders? In welchen Bundesländern finden sich die besten Standorte für die neuen Kraftwerke – gemessen an nachvollziehbaren Kriterien? Dies sind nur einige der Fragen, die öffentlich zu debattieren wären.
In diese Richtung denkt auch Lutz Mez, Politologe der Freien Universität. „Heute fühlen sich viele Leute nicht ernstgenommen“, so Mez. „Die Regierungen sollten die Bürger zu Versammlungen einladen, um mit ihnen in einem möglichst offenen, moderierten Prozess zu diskutieren.“
Wie darf man sich das vorstellen? In einem bundesweiten Verfahren müsste dieser Prozess wahrscheinlich über ein, zwei Jahre ablaufen. Beraten durch Fachleute, würden die Bundes- und Landesregierungen den Deutschen einen groben Plan für den Umbau des Energiesystems vorlegen. Die Haltung der Bürger dazu würde in Versammlungen auf Gemeinde-, Kreis-, Landes- und Bundesebene ermittelt und das Umbaukonzept entsprechend verändert. Man kann die Hoffnung hegen, dass der neue Masterplan nach mehreren Rückkopplungsschleifen auf breiterer Unterstützung basiert als ohne Partizipation.
Mit der Energiewende käme so auch die Demokratiewende. Denn klar ist, dass ein derartiger Prozess im Rahmen der heutigen Institutionen unmöglich ist. Dass man neue Verfahren der Mitbestimmung entwickeln muss, darauf weist Politologe Claus Leggewie im Interview hin. Beispielsweise Zukunftskammern könnten die Gesetzgebung der Parlamente ergänzen. Und auch Lutz Mez sagt: „Wir brauchen eine Revitalisierung der Demokratie – sonst gibt es begreiflicherweise Widerstand.“
Das ist die politische Dimension, um mehr Akzeptanz für die Energiewende herzustellen. Es gibt aber auch den ökonomischen Aspekt. Wer verdient an den Windparks? Warum sollten Bürger die Spargel auf den Hügel toll finden, wenn sie nicht selbst davon profitieren, sondern nur eine Betreibergesellschaft, die weit weg, in Hamburg oder Frankfurt sitzt?
Möglicherweise sähe die Lage anders aus, gehörten den Einwohnern der Dörfer Anteile der neuen Kraftwerke. „Es wäre hilfreich, wenn die finanzielle Beteiligung der Bürger beispielsweise an Windparks politisch unterstützt und gefördert würde,“ sagt Mez deshalb. Wer die Energiewende wolle, solle sie mit neuen Eigentumsstrukturen untermauern. In Dänemark wurde diese Idee in den 1990er Jahren bereits ausprobiert und hat gut funktioniert.