Im Interview
Die Schwierigkeiten der Verbraucherschützer im Umgang mit mächtigen Konzernen und die aktuellen Sorgen der Konsumenten kennt der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Gerd Billen, bestens. Der 55-jährige Sozialwissenschaftler steht dem Verband seit 2007 vor.
Frage: Die großen Themen von der Eurokrise bis zur Energiewende dominieren die Politik. Ist der Verbraucherschutz auf einem Abstiegsplatz gelandet?
Gerd Billen: Auf einem Abstiegsplatz steht er nicht, aber um die Teilnahme an der Champions-League müssen wir kämpfen. Die Eurokrise oder die Energiewende bestimmen derzeit die Medien. Wir hatten mit den Dioxin-Eiern, E10 oder den Benzinpreisen in diesem Jahr ja auch schon wichtige Themen in der öffentlichen Debatte.
Frage: Der Politik gelingt es nicht, großen Konzernen im Sinne eines besseren Verbraucherschutzes Fesseln anzulegen. Liegt das an der Internationalisierung der Wirtschaft oder fehlt nur der Wille dazu?
Billen: Es ist beides. Es ist ganz klar, das man internationale Mechanismen braucht, zum Beispiel um die Finanzindustrie zu zügeln. Auf Initiative der internationalen Verbraucherorganisationen wird sich in diesem Jahr der G20-Gipfel mit dem Thema beschäftigen. Aber es ist auch deutlich erkennbar, dass Staaten keine Regulierung wollen, sobald sie in irgendeinem Bereich ökonomische Nachteile für sich sehen. Der andere Punkt ist der mangelnde Wille. Ich bin gespannt, was an wirkungsvollen Maßnahmen gegen die hohen Benzinpreise ergriffen wird. Ob das Kartellamt und die Bundesregierung ernst machen und es eine Zerschlagung der Mineralölkonzerne oder den Zwangsverkauf von Tankstellen geben wird. Oder ob das Ganze ein Sturm im Wasserglas ist und die Preise weiter steigen.
Frage: Sind Sie für eine Entflechtung der Mineralölwirtschaft?
Billen: Die Bundesregierung und die EU-Kommission haben Probleme mit Oligopolstrukturen, also mit einer Situation, in der sich wenige Unternehmen einen Markt teilen. Den Strommarkt beherrschen vier Konzerne, Kraftstoff liefern fünf Unternehmen und den Einzelhandel dominieren sechs Gruppen. Der Wettbewerb funktioniert nur im Handel. In den anderen Märkten gibt es trotz Liberalisierung keine echte Konkurrenz. Statt nach unten sind die Preise hier ausschließlich nach oben gegangen. Ich glaube, wir brauchen Instrumente wie die Entflechtung, um für einen richtigen Wettbewerb zu sorgen.
Frage: Warum fehlt es dem Verbraucherschutz an Schlagkraft?
Billen: Die Verbraucherpolitik muss in den nächsten Jahren eine Strategie entwickeln und klären, wo mehr Kontrolle gefragt ist, wo mehr Information und wo mehr Regulierung. Im Moment lässt sich die Politik nur von aktuellen Themen treiben. Das Verbraucherministerium muss zu einem wirklich starken Ministerium ausgebaut werden und etwas bewegen dürfen. Die anderen verbraucherrelevanten Ministerien sollten jeweils eine komplette Abteilung und wesentliche Kompetenzen an das Verbraucherministerium abgeben.
Frage: Ein aktuelles Problem sehen wir bei den Krankenkassen nach der Pleite der City-BKK. Die betroffenen Mitglieder sind verunsichert, weil einige bei der Suche nach einer neuen Kasse von dieser abgelehnt wurden. Ist da nicht wieder eine Reform fällig?
Billen: Nein, denn nichts verunsichert die Leute mehr als ständig neue Reformen. Ich glaube, es gibt schlicht zu viele Krankenkassen in Deutschland. Die Niederländer kommen mit nur vier aus. 95 Prozent der Leistungen sind ohnehin gleich. Die Frage ist, wie organisiert man die Schrumpfkur und sichert, dass Ältere und Kranke auch von allen Krankenkassen genommen werden.
Frage: Wollen Sie Zwangsschließungen von Kassen?
Billen: Es kann nicht so sein, dass jeden Monat eine Kasse zumacht, die Leute verunsichert sind und nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Da hat das Bundesverwaltungsamt die Aufgabe, die Dinge im Stillen abzuwickeln, sobald sich rote Zahlen bei einer Kasse andeuten. Ein Patient muss wissen, dass er auch im Falle einer Insolvenz versichert ist.
Frage: Am Freitag beantragt Nordrhein-Westfalen im Bundesrat eine Verschärfung des Gesetzes gegen unlautere Telefonwerbung. Verträge sollen danach nur gelten, wenn sie schriftlich abgeschlossen wurden. Reicht die bisherige Regelung nicht aus?
Billen: Tatsächlich hat die Zahl der unerlaubten Werbeanrufe inzwischen stark abgenommen. Der Vorschlag von NRW und anderen Ländern ist zu begrüßen und deckt sich mit unserer langjährigen Forderung. Wenn ein Vertrag schriftlich bestätigt werden muss sinkt die Gefahr, ohne Wissen und Willen in ein Geschäft verwickelt zu werden. Doch durch diese Lösung werden sich nicht alle Betrüger abschrecken lassen. Das sehen wir gerade an der explosionsartigen Steigerung von Gewinnspielen. Dagegen müssten Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet werden. Denn selbst wenn die Täter im Ausland sitzen, brauchen sie hier doch oft einen Briefkasten oder eine Bankverbindung. Es gibt also Möglichkeiten, ihnen auf die Spur zu kommen, wenn man nur will.
Frage: Auch bei den Fluggastrechten hat die Koalition einmal Besserung versprochen, die Zusage aber bisher nicht eingelöst. Es geht um die Teilnahme der Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle für Streitigkeiten zwischen Passagieren und Unternehmen. Ist das Projekt gestorben?
Billen: Die Bundesregierung tut nicht genügend für eine gemeinsame Schlichtungsstelle. Die Fluggesellschaften möchten es nicht, weil es angeblich keine Beschwerden gibt und ihr Service ganz einzigartig ist. Wir haben ganz andere Erkenntnisse. Hier braucht es mehr politischen Druck. Im Moment gibt es Gespräche, ob die Fluggesellschaften eine eigene Schlichtungsstelle einrichten. Das macht für Verbraucher keinen Sinn. Es gibt eine Schlichtungsstelle, eine ergänzende Branchenlösung benötigen wir nicht. Die Bundesregierung sollte die Branche daher in die bestehende integrieren. Wenn das nicht freiwillig geschieht, sollte es zwangsweise durchgesetzt werden.