Unter 35-Jährige im Stresstest

Paradox: Junge Menschen in Dienstleistungsjobs arbeiten viel, haben wenig Zeit und geben sich dennoch zufrieden

Gehetzt, gestresst und überfordert: So fühlen sich junge Menschen heute, die in der Dienstleistungsbranche Fuß gefasst haben. Der Druck hat in allen Lebenslagen zugenommen, sagen sowohl Erzieherinnen oder Krankenpfleger, als auch Bankangestellte oder Informationstechniker. Gleichzeitig sagen sie, persönlich wenig belastet zu sein. Diese beiden Aussagen, wollen auf den ersten Blick nicht recht zusammenpassen.

Den Widerspruch ans Licht gebracht hat die Studie „Was bewegt junge Menschen“ der Tübinger Forschungsgruppe . Über 1.200 Beschäftigte zwischen 25 und 35 Jahren aus dem Gesundheitswesen, dem Banken- und Versicherungssektor, dem Öffentlichem Dienst und der IT-Branche haben die Forscher befragt. Mithilfe von Interviews und Fragebögen konnten sie Einblicke in das Leben der jungen Leute gewinnen.

„Irgendwo hab’ ich das Gefühl, ich schaff das nicht mehr“ oder  „Die Aufgaben werden immer größer, immer breitgefächerter“ bekamen die Wissenschaftler ebenso zu hören wie „Es gibt eigentlich nichts, mit dem ich total unzufrieden bin“ oder „Ich bin eigentlich ganz zufrieden.“ Wie sich diese Aussagen unter einen Hut bringen lassen, erklärt die Psychologie – und der Zeitgeist: „Man muss heute zeigen, dass man alles schafft“, bringt es Studienleiter Josef Held auf den Punkt. Junge Menschen nehmen nicht wahr, dass der Job belasten kann. Zumindest nach außen sind sie immer bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

„Also manchmal habe ich das Gefühl, dass ich schon einem großen Druck ausgesetzt bin, wobei dieser Druck jetzt eher nicht von der Industrie oder der Wirtschaft herrührt (…) sondern eher so ein persönlicher Anspruch ist (…)“, fiel die Antwort einer Informatikerin auf die Frage aus, was sie denn bewege. Damit spricht sie einer Mehrheit aus dem Herzen, die sich eher selbst unter Druck setzt. Fast drei Viertel der Befragten belastet Zeitdruck. Mehr als die Hälfte empfindet psychischen Druck. Knapp ein Drittel sagt, unter Arbeitsdruck zu stehen.

Vor allem ein Ergebnis verblüffte die Forscher: Viele Beschäftigte legen einen „Gerechte-Welt-Glauben“ an den Tag. Sie sagen, im Job und in der Welt geht es gerecht zu. Gänzlich unrealistisch ist das, sagt Held. „Das ist ein Abwehrmechanismus, der die eigene Zufriedenheit stabilisiert.“  Es existiere eine Tendenz zur positiven Selbsteinschätzung. Viele würden nichts von Kritik hören wollen. „Erzieherinnen“, erläutert der Leiter der Forschungsgruppe exemplarisch, „sind mit Abstand am zufriedensten mit ihrer Arbeit.“ Die hohe Zufriedenheit sei aber eher oberflächlich. Schließlich zeigten sie sich in hohem Maße unzufrieden mit der Bezahlung.

Im Laufe der Zeit hat der Job für jungen Menschen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Auch das ist ein Ergebnis der Studie. Es ist ihnen wichtig geworden, dass die Arbeit Spaß macht. Mit ihrer Firma fühlen sie sich verbunden und bringen ihr Engagement dort ein. „Junge Leute identifizierten sich sehr stark mit ihrer Beschäftigung“, urteilt Held.

In dem starken Engagement sehen die Tübinger Forscher jedoch ein Problem. Heute tragen die Menschen die Arbeit in ihr Privatleben mit hinein, sagen sie, was bis hin zur Scheidung führen kann. Im Gegensatz zu früher würden heute private Probleme verdeckt gehalten. Damals sei das umgekehrt gewesen. Da hätten Beschäftigte für private Angelegenheiten ein Gehör bei den Kollegen gefunden. Junge Arbeitnehmer, so Forschungsleiter Held, haben heute Depressionen und wissen nicht, wo die Probleme herkommen. Erst beim Psychologen werde ihnen klar, dass die Arbeit Schuld an dem Tief ist und nicht sie selbst.
„Den Leuten fehlt die Selbsteinsicht in ihre Situation“,  erläutert Held.

Im Zuge ihrer Arbeit sind die Forscher immer wieder krassen Lebensläufen begegnet: Da wohnte die alleinerziehende Krankenpflegerin bei ihrer Mutter, um finanziell über die Runden zu kommen, und die Erzieherin ging nach der Arbeit in der Kita im Fitnessstudio jobben, um genügend Geld zum Leben zu haben. Übliche Beschäftigungsverhältnisse, schlussfolgern sie, werden immer prekärer.

Die Untersuchung:
Im Mittelpunkt der Studie „Was bewegt junge Menschen? Lebensführung und solidarisches Handeln junger Beschäftigter im Dienstleistungsbereich“ standen Baden-Württemberg, Brandenburg und Berlin. Dennoch, so die Autoren, treffen die Untersuchungsergebnisse ebenso auf die restlichen Bundesländer zu. Die Begründung: Die untersuchten Regionen sind wirtschaftlich unterschiedlich stark aufgestellt, zeigen aber kaum Unterschiede.