Hektik und Herrschaft

Kommentar zu Atom und Bürgerbeteiligung von Hannes Koch

Zu den gefährlichsten Zivilisationskrankheiten gehört die Eile. Sie tötet die Lebenslust und das Nachdenken. Auch schafft Zeitmangel Probleme ganz eigener Art. Hätte sich Kanzlerin Angela Merkel beispielsweise im vergangenen Jahr bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten etwas mehr Ruhe genommen, müsste sie der eigenen Partei jetzt nicht ihren 180-Grad-Schwenk in der Energiepolitik erklären. Auch bei den Ausstiegsgesetzen, die das Kabinett am Montag beschließen soll, droht wieder der Eile-Fehler.

Und das in zweifacher Hinsicht. Mit Hochgeschwindigkeit will die Regierung gleich zehn Gesetze und Vorhaben zur Energiewende verabschieden, die die Grundlage unseres Lebens und Arbeitens in den kommenden 40 Jahren bestimmen. Warum kann man darauf nicht etwas mehr Sorgfalt verwenden, um Fehler zu vermeiden? Im Sinne eines guten Regierens verbieten sich High-Speed-Gesetze.

Außerdem planen Regierung und Koalition ein Beschleunigungsgesetz für den Bau der neuen Stromnetze. Wenn den Bürgern aber die Windparks, Solarkraftwerke und Hochspannungsleitungen im Rekordtempo vor die Nase gesetzt werden, ist der Protest gegen die Energiewende programmiert. Es passt nicht zusammen, wenn CSU-Chef Horst Seehofer einerseits die Bauplanung beim Bund konzentrieren will und andererseits mehr Engagement der Bürger bei der Energiewende verlangt. Um letzteres zu erreichen, wäre nicht nicht weniger, sondern mehr Bürgerbeteiligung notwendig. Die Regierung muss Ländern, Gemeinden und Einwohnern einen Vorschlag vorlegen, wo und wie die neue Energieinfrastruktur entstehen soll. Erst nach mehreren Beratungsschleifen, bei denen die Einwände ernstgenommen werden, dürfen die Baumaßnahmen beginnen.

Das fordern nicht nur Bürgerinitiativ-Spinner, sondern auch Regierungsberater wie der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen. Die Professoren wissen: Eile kann eine Herrschaftsmethode sein. Wer seine Gegner neutralisieren will, nimmt ihnen die Zeit zur Reaktion. Bevor sie sich sortiert haben, hat die Regierung die Zukunft schon strukturiert. Auf solche Methoden versteht Angela Merkel sich ziemlich gut. Die Abgeordneten des Bundestages und die Bürger aber sollten sagen: Halt! Auf ein halbes Jahr mehr oder weniger kommt es jetzt nicht an.