Ausbildungsplatzangebot auf Rekordniveau / Im Osten fehlen schon
Bewerber
Ganz neue Töne erklingen aus dem Haus der Bundesagentur
für Arbeit (BA). Statt lauter Klagen über Hunderttausende
Schulabgänger, die kurz vor Beginn des Lehrjahres noch keine Stelle
gefunden haben, genießen die Nürnberger in diesem Jahr einen neuen
Trend. “In einigen Regionen gleicht sich schon jetzt die Zahl der
Bewerber und der Ausbildungsstellen aus”, stellt BA-Vorstand Raimund
Becker fest. In den nächsten Jahren werde sich die Schere zwischen
Angebot und Nachfrage weiter schließen. Die letzte Statistik vom Mai
2011 verdeutlicht den Trend. Fast 425.000 Ausbildungsverträge wurden
bis dahin abgeschlossen. 448.000 Bewerber hatten sich zuvor bei der BA
registrieren lassen. Im Mai standen 198.000 offenen Lehrstellen nur
noch 202.000 unversorgte Jugendliche gegenüber.
Die positive Entwicklung hat zwei Ursachen. So macht sich etwa der
demographische Wandel auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar. In diesem
Jahr geht die Zahl der Schulabgänger von Haupt- und Realschulen um 3,5
Prozent zurück. Zugleich sorgt die boomende Konjunktur für ein größeres
Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Die Mitglieder des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) meldeten fast
150.000 Ausbildungsplätze, ein Plus von 13 Prozent gegenüber 2010.
“Damit markieren die Mai-Zahlen einen neuen Rekordwert”, sagt
DIHK-Präsident Hans-Heinrich Driftmann.
In Teilen Ostdeutschlands gehört die Jugendarbeitslosigkeit, zumindest
mit Blick auf den Einstieg ins Berufsleben, der Vergangenheit an. Das
ist aber vor allem auf den Geburtenknick nach der Wende zu verdanken.
Damals hatte sich die Zahl der Geburten von zuvor rund 230.000 nahezu
halbiert. Entsprechend dünn besetzt sind daher die Jahrgänge, die jetzt
auf den Arbeitsmarkt drängen. Da in den letzten 20 Jahren in den neuen
Ländern zudem viele außerbetriebliche Ausbildungsplätze vorgehalten
wurden, ist die Versorgung der jungen Leute mit Lehrstellen rechnerisch
problemlos möglich.
Ob die Bilanz zum Start des neuen Lehrjahres im Spätsommer immer noch
so positiv ausfällt, ist noch nicht klar. Denn Driftmann zufolge haben
viele Betriebe Lehrverträge früher abgeschlossen als sonst, um sich
geeignete Bewerber zu sichern. Daran mangelt es laut DIHK vielfach. Der
Verband rechnet deshalb mit rund 50.000 Stellen, die nicht besetzt
werden können. Ein weiterer Grund dafür ist, dass gute Schüler oft
mehrere Verträge abschließen, aber am Ende nur einen Platz besetzen.
Für eine neue Vergabe ist es dann oft schon zu spät.
Wasser in den Wein schüttet auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).
“Unter dem Strich bleibt eine Lücke von 22.000 fehlenden betrieblichen
Ausbildungsstellen”, rechnet der Ausbildungsexperte des DGB, René
Rudolf, vor. Die Gewerkschaften sehen zwar auch eine Entspannung der
Lage, weil die Schülerzahlen rückläufig sind. Doch für das hohe
Stellenangebot in diesem Jahr sei vor allem die gut laufende Wirtschaft
der Grund. Lässt der Boom nach, geht nach Ansicht der Gewerkschaften
auch das Ausbildungsplatzangebot wieder zurück. Deshalb fordert der DGB
von der Politik, etwas für die Stabilisierung des Angebots zu tun.
Rudolf fordert Anreize für ausbildende Betriebe oder eine
Ausbildungsplatzabgabe für jene Unternehmen, die sich vor der
Nachwuchsförderung drücken.
Dazu beklagen die Gewerkschaften ein weiteres Problem, die Altlast aus
der jahrelangen Ausbildungskrise. 1,5 Millionen junge Menschen zwischen
20 und 29 Jahren können keinen Berufsabschluss vorweisen. Hier müsse
eine Nachqualifizierung organisiert werden, fordert Rudolf. Die Klagen
der Arbeitgeber über eine bei vielen fehlende Ausbildungsfähigkeit
weist der DGB zurück. “Die Unternehmen konnten sich in den letzten
Jahren die Sahne abschöpfen”, kritisiert der Fachmann. Sie müssten nun
wieder lernen, schwächere anzuleiten und wieder richtig auszubilden.
Dennoch räumen auch die Gewerkschaften ein, dass ein Teil der
Jugendlichen nicht fit genung für eine Lehrstelle ist. Das bestätigen
auch die Wissenschaftler des Instituts für - und Berufsforschung (IAB).
“Nicht alle sind den Ausbildungsanforderungen gewachsen”, erläutert
IAB-Forscher Holger Seibert. Seit Jahren landet ein stabiler Anteil von
etwa zehn Prozent der Schulabgänger in Maßnahmen der Arbeitsagentur,
weil sie sonst gar keine Chance auf eine Ausbildung hätten. Seibert
fordert daher verstärkte Bildungsanstrengungen. “Wir sollten die
demographische Rendite in den Schulen lassen”, schlägt er vor. Das
heißt, die Zahl der Lehrer soll trotz sinkender Absolventenzahlen
gleich bleiben, damit diese sich besser um ihre Schüler kümmern können.