Steuern kürzen, Schulden steigern

Vor der Sommerpause will die Bundesregierung über eine neue Steuersenkung entscheiden

Die Bundesregierung erwägt, die Einkommensteuer für Bruttoverdienste ab etwa 8.000 Euro jährlich zu senken. „Feste Absprachen“ über den Zeitpunkt oder das Entlastungsvolumen gebe es aber bisher nicht, sagte Regierungsprecher Steffen Seibert. Er bekräftigte gleichwohl das im Koalitionsvertrag niedergelegte Anliegen, untere und mittlere Einkommen mit einer neuerlichen Steuerreform zu entlasten.

Unter anderem CDU-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder befürwortet die neue Steuerreform. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist dagegen deutlich reservierter. Sein Sprecher Martin Kotthaus wies gestern daraufhin, dass der Bund „rund 100 Millionen Euro Zinsen pro Tag“ zahle, um seine Schulden zu finanzieren. Trotz Super-Konjunktur und guter Steuereinnahmen muss Schäuble dieses Jahr neue Kredite von knapp 40 Milliarden Euro aufnehmen. Jede Milliarde Steuerentlastung erhöht die Neuverschuldung.

„Sehr überrascht“ waren auch die Haushaltspolitiker der Union. Mit ihnen hatte die Koalitionsspitze vor ihrer Ankündigung offenbar nicht gesprochen. CDU-Haushaltssprecher Norbert Barthle sagte: „Der Abbau der viel zu hohen Neuverschuldung und die Einhaltung der Schuldenbremse haben weiterhin absolute Priorität.“

Saarlands CDU-Ministerpräsident kritisierte die beabsichtigte Steuersenkung ebenso. Er werde einem entsprechenden Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen, sagte Müller. Ablehnend äußerten sich auch die CDU-Ministerpräsidenten von Thüringen und Sachsen-Anhalt, Christine Lieberknecht und Rainer Haseloff.

Damit definierte die Ministerpräsidenten die entscheidende Hürde, die Kanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Philipp Rösler überspringen müssen, wollen sie ihre Anliegen durchsetzen. Weil Steuersenkungen auch zu Einnahmeausfällen bei den Bundesländern führen können, müssen diese im Bundesrat zustimmen. Dort aber hat die schwarz-gelbe Regierung keine Mehrheit.

Scheinbar will es die Regierung aber trotzdem wissen. „Vor der Sommerpause“ solle die grundsätzliche Entscheidung fallen, sagte Seibert. Am 6. Juli beschließt das Kabinett über den Haushalt 2012 und die mittelfristige Finanzplanung.

Bei ihren neuen Plänen wird sich die Regierung auf alte Konzepte stützen. Vorarbeiten geleistet hat unter anderem das bayerische Finanzministerium. Die Entlastung könne etwa sieben Milliarden Euro umfassen, deutete Minister Georg Fahrenschon (CSU) bereits vor geraumer Zeit an. Fast der gesamte Einkommensteuertarif würde um 0,7 Prozent gesenkt. Der Eingangssteuersatz von 14 Prozent und der Spitzensatz von 42 Prozent blieben allerdings fest. Gleichzeitig würden die einzelnen Steuersätze erst bei etwas höheren Einkommen greifen als heute.

Damit wollen vor allem die CSU und die FDP dem so genannten Mittelstandsbauch zu Leibe rücken. Dieses Phänomen sieht so aus: Bei kleinen Einkommen zwischen 8.000 und etwa 25.000 Euro jährlich steigen die Steuersätze schneller an als bei höheren Verdiensten. Das kann man als Ungerechtigkeit gegenüber einem Teil der Mittelschicht verstehen, die die Union und FDP als ihre Kernklientel umwerben. Was die Regierung aber immer nur auf Nachfrage einräumt, ist dies: Wer die kleineren Einkommen entlastet, begünstigt gleichzeitig auch die hohen Verdienste. Selbst Millionäre zahlen dann weniger Steuern. Der Grund: Die Vorteile einer Entlastung im unteren Bereich pflanzen sich im Steuersystem nach oben fort. Je nach Ausgestaltung der Reform vereinnahmen die Wohlhabenden sogar den größeren Teil der Entlastung, hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) vor einem Jahr in Bezug auf ein FDP-Modell berechnet.