Trügerische Lauflernhilfen

Auf kleine Kinder lauern zu Hause viele Risiken/ Manche werden unterschätzt

Mehr als 1,6 Millionen Kinder verunglücken in Deutschland jedes Jahr so schwer, das sie von einem Arzt behandelt werden müssen. Fast die Hälfte von ihnen verletzt sich zuhause und in der Freizeit. Besonders kleine Sprösslinge bis zu einem Alter von vier Jahren sind gefährdet. Viele Unfälle passieren, weil Eltern oder Großeltern die Gefahren unterschätzen. Wir erklären, wo im Haus verkannte Risiken auf die Kleinen lauern.

Lauflernhilfen:
Sie heißen „Gehfrei“, „Babywalker“, „Lauflernschule“ oder „Lauflernhilfe“ und kommen meist farbenfroh daher. Und: Sie gefährden kleine Kinder mehr, als dass sie ihnen nützen. Etwa 6000 Kinder pro Jahr, das schätzt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, erleiden Unfälle mit Babywalkern. Sie versuchen beispielsweise aus der Lauflernhilfe herauszuklettern und stürzen ab. Häufig verletzen sie sich dabei am Kopf. „Eltern und Großeltern, die glauben, sie tun ihrem Nachwuchs etwas Gutes, wenn sie ihnen derartige Geräte schenken, täuschen sich“, sagt Dr. Jörg Schriever vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

„Solche Produkte muss es nicht geben“, sagt auch Martina Abel, die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Mehr Sicherheit für Kinder. Erst kürzlich, so Abel, sei wieder ein Baby aus einer Lauflernhilfe gefallen. Das Dramatische: Das sechs Monate alte Kleinkind stürzte in einen mit Wasser befüllten Putzeimer und wäre beinahe ertrunken.

Kanada hat die Gefahr erkannt und Lauflernhilfen aus den Läden verbannt. Solch ein Verbot wünscht sich Verbandschefin Abel auch für Deutschland. Offensichtlich sei es in Europa jedoch sehr schwierig, die Produkte vom Markt zu nehmen. „Wenn die Produkte der Norm entsprechen, so sind sie rein rechtlich gesehen nicht unsicher“, gibt Abel zu bedenken. Eltern empfiehlt sie, die Hände von den Geräten zu lassen.

Fenster:
Typische Sommerunfälle passieren, weil Eltern beim Lüften nicht daran denken, dass der Nachwuchs im Zimmer herumkrabbelt. „Meist sind die Kinder ein bis zwei Jahre alt“, sagt BAG-Chefin Abel. Fensterstürze, meint sie, lassen sich zu hundert Prozent vermeiden: Fenster sollten nur gezielt zum Lüften aufgemacht werden, wobei man sein Kind beaufsichtigen muss. Werden Fensterriegel verwendet, können Kinder die Fenster nicht alleine öffnen.

Wasser:
Dass Wasser nicht nur draußen, sondern auch drinnen eine Gefahr darstellt, unterschätzen Eltern häufig. Kinder ertrinken nicht nur im Schwimmbad, in Tümpeln, Teichen oder Seen. Auch in der Wanne gehen sie unter. „Man darf Kinder nicht eine Sekunde in der Badewanne alleine lassen – gerade die unter Dreijährigen“, erläutert Expertin Abel. Bis zum dritten Lebensjahr haben Kinder große Probleme, sich allein aus dem Wasser zu heben, wenn ihr Gesicht unter Wasser gerät. Selbst wenn das Wasser nur wenige Zentimeter tief ist, können sie ertrinken. Das Fatale: Kleine Kinder gehen nahezu geräuschlos unter. Lautes, warnendes Platschen ist Fehlanzeige. Schließlich unternehmen sie keine Selbstrettungsversuche.

Schlafen:
Ebenso das Schlafen schätzen Eltern  häufig falsch ein. Ersticken ist die größte Gefahr für Säuglinge im Bettchen. Kopfkissen und große Decken rutschen ihnen beispielsweise über den Kopf und nehmen ihnen die Luft. Anstelle einer Decke sollte daher ein Schlafsack verwendet werden. Das ist sicherer. Kuscheltiere, Spielketten oder Mobiles: Auch diese Dinge bergen Erstickungsgefahr. „Die Bettchen sind oft überbestückt“, beobachtet BAG-Chefin Abel. Je voller das Bett, desto größer sei das Risiko. Ein Schlafsack und ein Kuscheltier genügten.

Zigaretten:
Kinder sind neugierig und stecken gerne Dinge in den Mund, die sie mit ihren kleinen Händchen zu greifen bekommen. Handelt es sich dabei um eine Zigarette, kann das extrem gefährlich werden. Viele wissen das nicht. Eine gegessene Zigarette reicht aus, um ein Kind tödlich zu vergiften. Zum Glück sind Vergiftungen durch Tabak selten geworden: Heute rauchen Eltern weniger und  passen besser auf.

Jungs sind besonders gefährdet:
Bei fast allen Unfallarten tragen Jungs im Übrigen ein weitaus höheres Risiko als Mädchen. „Sie dürfen mehr ausprobieren, werden aber weniger beschützt“, erläutert BAG-Geschäftsführerin Martina Abel. „Sie sind von ihrem Naturell häufig experimentierfreudiger und haben eine andere Art auf die Welt zuzugehen.“