Trotz Aufschwung weniger Lohn

Vor allem Niedrigverdiener mussten im letzten Jahrzehnt kräftige Einbußen hinnehmen / Forderung nach Mindestlöhnen wird lauter

Bei den Arbeitnehmern ist die gute wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre nicht angekommen. Das ergab eine Auswertung der Einkommensentwicklung durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Danach mussten die Niedriglohngruppen sogar heftige Einbußen bei der Kaufkraft hinnehmen. Bereinigt um die Teuerungsrate sanken hier die Nettoeinkommen um bis zu 22 Prozent. Nur in der Spitzengruppen der Angestellten ging es aufwär

DIW-Forscher Markus Grabka hat die jüngsten Ergebnisse des sozioökonomischen Paneels ausgewertet. In dieser mit jährlich 20.000 Befragten größten Untersuchung der Befindlichkeiten der Deutschen wird auch nach dem Verdienst gefragt. Die Ergebnisse hat das DIW auf die rund 35 Millionen abhängig Beschäftigten hochgerechnet. Die realen Nettogehälter gingen danach zwischen 2000 und 2010 um durchschnittlich 2,5 Prozent nach unten.

Ein Blick auf die Verteilung der Gewinne oder Verluste beim Lohn zeigt große Unterschiede zwischen den Arbeitnehmern. Bei den zehn Prozent der Beschäftigten in der niedrigsten Gruppe ging der Durchschnittsverdienst von 270 Euro auf 211 Euro zurück. Starke Einbußen mussten die untere Hälfte der Einkommenbezieher auf breiter Front hinnehmen. Erst ab einem Gehalt von rund 1.400 Euro blieben die Verdienste stabil oder stiegen sogar leicht. „Bei den oberen Dezilen kann man eine Verlagerung zu Sonderzahlungen sprich Boni
feststellen, die hier in dieser Analyse nicht enthalten sind“, erläutert Grabka. Mit anderen Worten nimmt die Lohnspreizung weiter zu.

Mit der Wirtschaftsentwicklung hängt die Einkommensentwicklung offenkundig nicht mehr so eng zusammen. Denn innerhalb des letzten Jahrzehnts gab es einen kräftigen Zuwachs der Wirtschaftsleistung. „Bei den meisten Erwerbstätigen ist von dem Wirtschaftswachstum nichts angekommen“, stellt Grabka fest.

Vor allem die Ausweitung des Niedriglohnbereichs mit vereinfachten Minijobregelungen wird zu einem Verteilungsproblem. Mittlerweile zählen 6,5 Millionen Beschäftigte zu den Geringverdienern, die im Westen weniger als neun und im Osten weniger als sieben Euro in der Stunde erhalten. „Dort ist die Verhandlungsposition der Beschäftigten am schlechtesten“, beobachtet Reinhard Bispinck vom gewerkschaftsnahen WSI-Tarifarchiv der Böckler-Stiftung. Die einfachen Tätigkeiten sind oft gar nicht tarifvertraglich abgesichert. Das erschwert die Durchsetzung höherer Löhne zusätzlich. Bei einem 400-Euro-Jobber müsste eine allgemeine Tariferhöhung zum Beispiel zu kürzeren Arbeitszeiten für das gleiche Geld führen. Doch in der Praxis kann kaum ein Minijobber diese Forderung durchsetzen.

Auch der vielfach beschworene Fachkräftemangel hat bisher kaum zu Bewegung bei den Löhnen geführt. Bispinck sieht nur vereinzelte Reaktionen der Arbeitgeber, zum Beispiel in der Holz- und Kunststoffverarbeitenden Industrie. „Hier wurden die Ausbildungsvergütungen um bis zu 25 Prozent angehoben“, berichtet der Experte. Doch wenn es wirklich einen Facharbeitsmangel gäbe, müssten Lohnsteigerungen auf breiter Front stattfinden. Das sieht das WSI derzeit nicht. Nach Bispincks Berechnungen steigen die Bruttogehälter in diesem Jahr um durchschnittlich zwei Prozent. Da die Teuerungsrate höher ist, werden die Arbeitnehmer wohl auch 2011 mit Reallohnverlusten klar kommen müssen.

Bispinck spricht sich für einen einheitlichen Mindestlohn aus. So könnten die Niedriglöhner vor weitere Verlusten geschützt werden. Die Grünen unterstützen diese Forderung. Die Partei fordert von der Bundesregierung ein Programm gegen Lohnarmut. Dazu gehören neben dem Mindeslohn eine Neuregelung der Minijobs, die gleiche Bezahlung von Leiharbeiter und Kernbeschäftigten sowie die Entlastung unterere Lohngruppen bei den Sozialabgaben.