„Die Grenze ist erreicht“

Die finanzielle Belastung durch die Euro-Rettung dürfe nicht mehr steigen, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.

Hannes Koch: Sie haben Interesse, 2013 Bundesfinanzminister einer neuen rot-grünen Regierung zu werden. Was würden Sie angesichts der aktuellen Griechenland-Krise tun, wenn Sie die Aufgabe bereits hätten?

Jürgen Trittin: Ach was. Da schreibt man als Fraktionsvorsitzender mit Kollegen ein Papier zur grünen Finanz- und Haushaltspolitik, und schon werden einem Ambitionen angedichtet. Zur Sache: Wir müssen endlich verstehen, dass die Schuldenkrise eine Krise der gesamten Eurozone ist. Denn bisher fehlt eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Wir brauchen beispielsweise Regeln gegen Steuerdumping, damit nicht ein Staat sich auf Kosten der anderen bereichern kann. Klare Konditionen und Sanktionen, um die Haushalte der Nationalstaaten in der Balance zu halten, sind ebenso notwendig – wie europäische Staatsanleihen.

Koch: Gemeinsame Verschuldungspapiere der Eurozone würden als Schrottpapiere mit hohen Zinsen eingestuft, droht die private Rating-Agentur Standard & Poor´s. Dieser Weg scheint versperrt.

Trittin: Nein, diese Rating-Agentur geht von falschen Voraussetzungen aus. Eurobonds wären solide und hätten günstige Zinsen, weil die Staaten nur einen Teil ihrer Schulden mit gemeinsamen Papieren finanzieren dürften. Im Falle Ungarns hat das in den vergangenen Jahren auch funktioniert.

Koch: Griechenland steckt in einer schlimmeren Situation. Es muss hart sparen, das aber zerstört seine Wirtschaft. Die Schulden wachsen weiter. Muss man Athen einen Teil der Schulden erlassen?

Trittin: Das wird teilweise schon gemacht. Die Banken tauschen alte gegen neue griechische Anleihen und nehmen dabei einen Wertverlust von rund 20 Prozent in Kauf. Das ist ein erster Schritt. Wie weit der reicht, muss man weiter beobachten.

Koch: Steht die Griechenland-Rettung nicht kurz vor ihrem Scheitern?

Trittin: Dass die europäischen Sparkommissare gerade aus Athen abgereist sind, gehört zum Verhandlungsgeschäft und unterstreicht die Ernsthaftigkeit. Am Ende werden die Griechen die Sparauflagen erfüllen, weil sie sonst keine Hilfskredite mehr bekämen.

Koch: Sie wollen dem erweiterten Stabilitätsfonds im Bundestag zustimmen und damit noch mehr Geld unter anderem für Griechenland lockermachen. Können Sie nachvollziehen, dass viele Bürger wissen wollen, wo der Obergrenze der Opfer liegt?

Trittin: Das Limit liegt für Deutschland bei rund 230 Milliarden Euro, wobei der allergrößte Teil wohl niemals ausgezahlt wird. Trotzdem sind diese Bürgschaften eine gewaltige Summe. Sie entsprechen mehr als zwei Dritteln aller Bundesausgaben eines Jahres. Wir sind realistisch genug, zu wissen, dass die Grenze allmählich erreicht ist.

Koch: Was sagen Sie den Bürgern, um ihnen neuen Mut für Europa zu machen – wäre es ein gutes Ziel, die Vereinigten Staaten von Europa anzustreben?

Trittin: Europa wird auf lange Zeit eine Mischung bleiben aus zwischenstaatlicher Organisation und einem staatsähnlichen Gebilde. Wenn wir jetzt aber den Schritt zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik gehen, müssen wir auch die demokratische Kontrolle verbessern. Vieles regeln die Regierungen heute ja alleine, ohne das EU-Parlament zu beteiligen.

Koch: Die Bürger misstrauen der EU-Bürokratie. Sehen Sie Chancen, das Europäische Parlament zu einer Volksvertretung zu machen, die die EU-Regierung wirklich kontrolliert?

Trittin: Ja, wir können und sollten wegkommen von der Herrschaft der zwischenstaatlichen Verträge, die die Regierungen unter sich aushandeln. Auch die Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone sollten wir in den normalen Gesetzgebungsprozess überführen, an dem die EU-Kommission und das EU-Parlament mitwirken. Als Grüne streben wir an, die europäischen Verträge so zu ändern, dass die demokratischen Elemente deutlich gestärkt werden. Vielleicht ist es auch sinnvoll, einen neuen europäischen Verfassungskonvent einzuberufen.

Koch: In der Schuldenkrise brauchen die Staaten mehr Geld. Sie leiden unter den Defiziten. Den Regierungen fehlen aber Einnahmen. Liegt der Grund auch in der Steuersenkungspolitik der vergangenen Jahrzehnte?

Trittin: Alle müssen sich von bestimmten Überzeugungen verabschieden, die Ende der 1990er Jahre en vogue waren. Ein Staat wie der deutsche, der während der Finanzkrise seit 2007 namhafte Privatbanken vor dem Zusammenbruch bewahrt hat, muss handlungsfähig bleiben. Ein strukturelles Defizit von 40 Milliarden Euro im Bundeshaushalt können wir nicht dauerhaft akzeptieren. Es geht darum, unnütze Ausgaben einzusparen, umweltschädliche Steuersubventionen zu verringern und die Einnahmen zu erhöhen. Die Einkommensteuer für hohe Verdienste muss steigen. Die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von heute 25 Prozent soll wegfallen. Stattdessen müssten die Kapitalbesitzer Einkommenssteuer zahlen, die in der Regel höher liegt. Um die Kosten der Bankenkrise gegenzufinanzieren, schlagen die Grünen zudem vor, eine zehnjährige Vermögensabgabe auf hohe Privatvermögen einzuführen, die 100 Milliarden Euro erbringen soll.

Koch: Glauben Sie, dass es Spaß macht, Finanzminister unter einem SPD-Kanzler Peer Steinbrück zu sein, der sich selbst für den besten Finanzchef hält?

Trittin: Die Grünen werden, egal in welchem Ressort, nur noch mit jemandem koalieren, niemals mehr unter jemandem. Darauf muss sich jeder einstellen – auch wenn wir der kleinere Partner sind.

Bio-Kasten

Jürgen Trittin (57) ist der einflussreichste Bundespolitiker der Grünen. Sollten die Grünen ab 2013 wieder mit der SPD in Berlin regieren, hat er gute Chancen auf die Rolle des Vizekanzlers. Gerade hat er ein Konzept für die Finanz- und Steuerpolitik einer neuen Bundesregierung entworfen.