Angenehme Schizophrenie

Kommentar über die deutsche Angst von Hannes Koch

Passieren eigentlich immer mehr schlimme Dinge – Bankencrash, Schuldenkrise, Sarrazin, Fukushima? Kommen die Einschläge näher – und zwar schneller? Das fragte ich kürzlich meinen Kollegen. Wir kamen zu dem Schluss, dass sich gewisse Ereignisse, die zu Sorgen Anlass geben, durchaus häuften – siehe die kaum noch abreissende Kette der Finanzkrisen. Aber das scheint eine Minderheiten-Meinung zu sein. Wer nun die neue Studie über die Ängste der Deutschen liest, muss eine andere Folgerung ziehen: Die Stimmung der Bundesbürger wird seit zehn Jahren besser. Die These sei erlaubt: Das muss auch etwas mit der Lage zu tun haben.

Zur Zeit sinkt die Arbeitslosigkeit, manche Leute verdienen mehr Geld. Das ist bekannt. Aber langfristig? Was machte den Deutschen angeblich das Leben schwer? Hartz IV, die Schere zwischen Arm und Reich, Ungerechtigkeit, Krieg, Klimakollaps, Finanzkrisen, Wirbelstürme, Erdbeben, die Enteisung der Pole und Vereisung der menschlichen Beziehungen. All das scheint den Bundesbürgern nicht so viel ausmachen. Anscheinend sehen viele dieses Land auf einem ganz guten Wege, wozu vielleicht auch die eine oder andere Regierung etwas beigetragen hat.

Eine solche Gelassenheit ist der Lebenshaltung von Politikern und Journalisten oft fremd. Beide Branchen leben von Erregung. Die einen müssen etwas ändern, um sich zu beweisen, die anderen brauchen Veränderung, um davon zu leben. Und Hiobsbotschaften sind die besseren Neuigkeiten.

Denn die Menschen konsumieren schlechte Nachrichten lieber als gute. Sie wollen rechtzeitig gewarnt sein. Und Konflikte versprechen Reibung, Spannung, Entwicklung, sie reizen den Krimileser in uns. Wahrscheinlich ist der moderne Medienmensch schizophren. Er inhaliert schlechte Nachrichten, um sie zu vergessen und sich im nächsten Moment seinem Gemüsebeet zu widmen – ein angenehmer Zug.