Verheizt

Kommentar

Es bedarf mitunter prominenter Opfer, damit eine längst fällige Debatte in Gang kommt. Eine öffentliche Diskussion über die immer weiter um sich greifende emotionale Ausbeutung von Arbeitnehmern zählt zu dieser Kategorie. Die Fakten dazu sind eindeutig. Immer häufiger halten Beschäftigte den wachsenden Druck in ihren Betrieben nicht mehr aus. Aus Versagensängsten heraus und aus der Sorge um ihren Job spielen sie so lange mit, bis Körper und Seele sich verweigern. Das ist längst keine Erscheinung mehr, die sich auf Führungsetagen und die Leistungsspitze beschränkt. Die Leistungsdichte verstärkt sich auch an der Basis der Betriebe. Der Erfolgszwang nimmt zu. Angestellte werden vielfach gemobbt und überforderte Vorgesetzte pressen ihre Leute seelisch rücksichtslos aus. Das alles ist Alltag in den Betrieben, wenngleich nicht in allen.

Die Vorschriften zum Arbeitsschutz reichen offenkundig nicht aus. Sie sind noch auf die alten Industrien ausgerichtet. Bei ihrer Einführung ging es vor allem darum, Leib und Leben der Arbeitnehmer zu schützen. Tödliche Arbeitsunfälle gehören nur durch diese Gesetze, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Vergangenheit an. Mit dem Sprung in die Wissensgesellschaft haben sich die Arbeitsplätze stark verändert. Es gibt immer weiter optimierte Produktionsprozesse und ausgefeilte Bewertungssysteme für die Leistung der einzelnen Beschäftigten. Die Gier nach hohen Renditen hat soziale Aspekte in den Unternehmen weitgehend verdrängt. Doch die seelische Leistungsfähigkeit des Faktors Mensch lässt sich nur begrenzt ausbauen. Er wird ganz einfach krank davon.

Alle Erfahrung lehrt, dass ein freiwilliges Umdenken der Arbeitgeber illusionär ist. Deshalb muss die Politik Grenzlinien bei der psychischen Belastung der Beschäftigten einziehen. Leicht ist dies sicher nicht, weil es noch an geeigneten Normen fehlt. Doch das lässt sich sicher ändern. Denn auch volkswirtschaftlich ist die Entwicklung fatal. Sie kosten die Sozialsysteme Milliarden und verheizt die so dringend benötigten Fachkräfte.