„Früher war die FDP weltoffener“

Markus Löning, Vizechef der Europäischen Liberalen, zum FDP-Mitgliederentscheid: "eindimensional"

Hannes Koch: Die Euro-Skeptiker in der FDP übergeben am Montag ihre Unterschriftenlisten, mit denen sie einen Mitgliederentscheid durchsetzen wollen. Langfristige finanzielle Unterstützung für andere Staaten lehnen sie ab. Griechenland soll zur Not die Eurozone verlassen. Ist das liberale Politik?

Markus Löning: Die Kritiker verkürzen die Debatte auf wirtschaftliche Aspekte. Sie betrachten Europa nicht in seiner ganzen politische Dimension. Außerdem erscheint mir ihre Sichtweise ungerecht. Für manche Bundesländer in Deutschland, beispielsweise Berlin und Brandenburg, nehmen wir seit Jahrzehnten Förderung und Solidarität der EU gerne in Anspruch. Die Griechen aber sollen – jetzt wo sie in Not sind – weder Solidarität noch Finanzhilfen bekommen. Das passt nicht zusammen.

Koch: Welche politische Dimension fehlt den Euro-Kritikern?

Löning: Die europäische Einigung hat für Deutschland neben den wirtschaftlichen Vorteilen einen großen Zugewinn an Stabilität gebracht. Stellen Sie sich vor, die Grenze zu einem armen Osteuropa verliefe an der Oder, Polen und die anderen neuen EU-Mitglieder wären nicht hinzugekommen. Dann lebten wir in größerer Unsicherheit. Aufgehoben in einem Verbund von 27 Staaten muss Deutschland sich die außenpolitischen und militärischen Sorgen der Vergangenheit heute nicht mehr machen.

Koch: Verkennt auch die aktuelle FDP-Führung den politischen Sinn Europas?

Löning: Am Anfang müsste immer das Ja zu Europa stehen, nicht das Nein. Die Prioritäten sollten lauten: Erstens tun wir alles für die europäische Einigung, zweitens machen wir gemeinsam unsere Hausaufgaben – wozu es auch gehört, die Staatshaushalte in Ordnung zu bringen. Heute herrscht oft die umgekehrte Reihenfolge. Es muss klar sein, dass die FDP mehr Integration bis hin zu den Vereinigten Staaten von Europa will.

Koch: Spiegelt sich im Mitgliederentscheid der FDP nicht die kontroverse Debatte, die eine lebendige gesamteuropäische Demokratie dringend braucht?

Löning: Gegen diese Diskussion ist überhaupt nichts einzuwenden. Allerdings sollte die Parteiführung eine klare proeuropäische Position zur Abstimmung stellen, mit dem Anspruch hierfür eine sehr deutliche Mehrheit der Mitglieder zu gewinnen. Wenn die Euro-Kritiker um Frank Schäffler einen substanziellen Teil der FDP-Mitglieder hinter sich versammeln sollten, hätte die FDP ein Problem.

Koch: Sie sind in Luxemburg aufgewachsen und engagieren sich auf europäischer Ebene. Ist das noch Ihre FDP?

Löning: Die Kritik hat oft einen nationalen Zungenschlag. Das trifft mich ins Mark. Früher war die FDP weltoffener – der Blick zu unseren Nachbarn aber auch deren Sicht auf die Dinge spielte eine wichtige Rolle. Wir sollten unseren Blick wieder über den Tellerrand hinaus richten – und die Welt nicht vornehmlich aus der Perspektive von Ostwestfalen-Lippe beurteilen.

Koch: Sie meinen die Heimat von Euro-Kritiker Schäffler. Was passiert, wenn sich dessen Sichtweise durchsetzt?

Löning: Sollte Griechenland aus dem Euro austreten, würden die anderen Regierungen Deutschland vorwerfen, dies nicht verhindert zu haben. Man erwartet von uns, dass wir eine Führungsrolle in Europa einnehmen. Verweigern wir uns, setzt das einen Prozess von Misstrauen und Entsolidarisierung in Gang. Dann kann es auch den Deutschen passieren, dass sie irgendwann wieder an einer Grenze stehen und nicht durchfahren dürfen, weil sie ihren Pass vergessen haben. Ganz davon abgesehen, dass uns aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China, Indien und Brasilien an die Wand drücken, wenn wir ihnen nicht als Europäer gemeinsam entgegentreten.

Koch: Hätte die FDP in Deutschland eine Chance als Partei, die den rechtspopulistischen Beispielen unserer Nachbarländer nacheiferte?

Löning: Die nationale Strömung im deutschen Liberalismus existiert seit 150 Jahren. Sollte die FDP aber heute wieder diese Karte ziehen, wäre sie keine wählbare liberale Partei mehr.

Markus Löning (51) ist seit 2010 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Der FDP-Politiker arbeitet im Außenministerium. Zugleich leitet er als Vize-Präsident den Zusammenschluss der europäischen liberalen Parteien (European Liberal Democrats, ELDR). Früher war er unter anderem Chef der Berliner FDP und Abgeordneter des Bundestag, wo er sich mit Entwicklungspolitik beschäftigte.