MdB Gerhard Schick zur Kapitalismuskritik: „Grüne müssen selbstkritisch sein“
Hannes Koch: Die Regierungen stellen Hunderte Milliarden Euro für die Sanierung von Staaten und Banken zur Verfügung. Zur gleichen Zeit artikuliert sich in den USA eine neue Kapitalismus-Kritik. Auch in Frankfurt gibt es am Samstag eine Demonstration. Reagiert die Politik angemessen auf diese Spannung?
Gerhard Schick: Bisher nicht. Die wichtigste politische Ressource, die Zustimmung der Bürger, schwindet zunehmend. Ein Grund dafür ist, dass selbst Mitglieder der Bundesregierung wissentlich die Unwahrheit sagen. Zum Beispiel wurde bis zur Abstimmung über den Rettungsfonds vertuscht, dass bereits die nächsten Schritte wie die Vergrößerung des Fonds in Vorbereitung waren. Zurecht fühlen sich viele Bürger verschaukelt.
Koch: Sie halten die politischen Antworten auf die gegenwärtige Krise für unehrlich. Richten Sie diesen Vorwurf auch an die Grünen?
Schick: Meine Partei bemüht sich mehr als andere um eine „Politik des Gehört-Werdens“. Trotzdem gilt auch für uns, dass wir die Sorgen der Menschen ernster nehmen müssen, gerade weil wir für eine europäische Lösung sind. Viele Leute haben Angst. Wen sollen sie eigentlich noch wählen, wenn diese Sorgen bei der politischen Elite nicht ankommen? Und wer sagt ehrlich, warum wir in diese Krise hineingeraten sind? Auch wir Grünen müssen uns selbstkritisch fragen, an welchen Fehlentscheidungen wir beteiligt waren. So richtig beispielsweise der Beitritt Griechenlands zum Euro in politischer Hinsicht gewesen sein mag, so sehr hat er ökonomisch zu Problemen geführt. Vertrauen für die nächsten Schritte gibt es nur, wenn man solche kritischen Themen offen anspricht.
Koch: Die grüne Spitze demonstriert europäische Solidarität und befürwortet weitere Hilfen Deutschlands an Griechenland. Können Sie nachvollziehen, dass sich Bürger mit einem Bruttoeinkommen von 1.500 Euro fragen, ob wir reich genug sind, um Milliarden an andere Staaten zu verschenken?
Schick: Ich kann sehr gut verstehen, dass man diese Frage stellt. Damit sind wir bei einem Kern der neuen Debatte über den Kapitalismus. Es geht um Gerechtigkeit. Ich glaube, die Bürger sind grundsätzlich bereit, mit anderen solidarisch zu sein. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist aber, dass die Lasten fair verteilt werden und eben nicht die Menschen mit den kleinen Einkommen für die Krise zahlen. Und wir müssen deutlich machen, dass wir dieses Wirtschaftssystem umbauen wollen. Leute, die sozial unproduktiv Geld hin und her schieben, verdienen Millionen, während Erzieher und Krankenschwestern, die viel wichtigere Arbeiten machen, mit 1.700 Euro brutto nach Hause gehen. Dieses System wollen viele zu recht nicht stabilisieren, sondern sagen: Rettungsmaßnahmen nur, wenn wir das ändern.
Koch: Was sollte die Bundesregierung tun?
Schick: Es ist notwendig, die Verteilungspolitik der vergangenen Jahre zu korrigieren. Die Regierung sagt aber bisher nicht einmal, wer jetzt die Kosten der Krise tragen soll. Wir brauchen eine neue soziale Balance. Deshalb fordern die Grünen höhere Steuersätze für große Einkommen und eine Abgabe auf große Vermögen, die 100 Milliarden Euro über zehn Jahre erbringen soll, um die Krisenkosten zu refinanzieren.
Koch: Die Grünen waren zwischen 1998 und 2005 an zwei Bundesregierungen beteiligt. Auch in Deutschland wurden die Finanzmärkte dereguliert, was der Banken- und Finanzkrise Vorschub geleistet hat. Sind sie bereit, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen?
Schick: Ja. Damals haben die Grünen die Deregulierung der Finanzmärkte teilweise mitgetragen. Aus solchen Fehlentscheidungen müssen wir die Schlussfolgerungen ziehen: Ohne starke Unterstützung der Bürger und der Zivilgesellschaft gelingt uns die Kontrolle der Finanzmärkte nicht. Als Grüne Abgeordnete alleine können wir gegen die geballte Kraft der Finanzlobby zu wenig ausrichten. Gerade deshalb ist es wichtig, dass auch die Grünen an den Demonstrationen und an der neuen Debatte über den Kapitalismus teilnehmen.
Koch: Selbst die Bundesregierung setzt sich damit auseinander, große Banken teilweise zu verstaatlichen. Der Kapitalismus scheint tatsächlich angeknackst zu sein. Was wäre die wichtigste Beschränkung, die man den Finanzinstituten auferlegen sollte?
Schick: Wir brauchen eine Schuldenbremse für Banken. Die großen Finanzhäuser müssen kleiner werden. Das ließe sich unter anderem dadurch erreichen, dass die Banken mehr Kapital in Reserve halten, um ihre Geschäfte abzusichern. Die Bundesregierung stand da bei den internationalen Verhandlungen auf der Bremse. Das entsprach den Interessen der Deutschen Bank. Was gut ist für die Deutsche Bank, ist aber nicht unbedingt gut für Deutschland.