Wasserstoff als Treiber der Energierevolution

Firma Enertrag – Windstrom wird zur Konkurrenz für die Grundlast-Kraftwerke der Konzerne

„Klein-Sibirien“ nennt Jörg Müller seinen Landstrich. An diesem Dienstag Ende Oktober ist es erstaunlich kalt. Der Wind pfeift über das weite, flache Land der Uckermark. Gut für Müllers Firma Enertrag: Seine Windräder drehen sich im Akkord. Aber Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck friert. Ohne Mantel posiert er vor dem Gebäude, das die Zukunft der Energieversorgung beherbergt. Die Fotografen sollen sich beeilen.

„Ein Quantensprung“, lobt Platzeck. Dann drückt er den symbolischen Anschaltknopf und eröffnet das Wind-Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerk, das Enertrag beim Städtchen Prenzlau, anderthalb Zugstunden nördlich von Berlin, errichtet hat.

Mit dieser Anlage sind Unternehmen und Land ziemlich weit vorne. Hybrid-Kraftwerke gibt es bislang kaum. Das Kraftwerk produziert zwar ganz normal Ökostrom mittels Windrädern, aber der besondere Trick ist die Speicherung der Energie in Form von Wasserstoff. Mit dieser Technik können die umweltfreundlichen Energien endgültig zur Konkurrenz für den permanent verfügbaren Strom aus zentralen Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken werden.

Das Zentrum des Kraftwerks ist der Elektrolyseur – eine Maschine, die im chemischen Verfahren der Elektrolyse Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff spaltet. In dutzenden durchsichtigen Leitungen zu beiden Seiten des vier Meter hohen Wunderapparates blubbert das Gas – links O2, rechts H2.

Den Wasserstoff speichert Enertrag dann in drei großen weißen Tanks vor dem Gebäude. Dort wartet das energiehaltige Gas auf seine Weiterverwendung. Für diese gibt es zwei Wege. Zum einen liefert Enertrag Wasserstoff an den französischen Ölkonzern Total, der ihn an mehreren Tankstellen in Berlin und Brandenburg als relativ umweltfreundlichen Treibstoff für Autos verkauft. Und zweitens kann man den Wasserstoff – gemischt mit Biogas aus vergorenem Mais – in einem Blockheizkraftwerk verbrennen, wodurch wieder Strom, gleichzeitig aber auch Wärme entsteht.

Knapp drei Millionen der insgesamt neun Millionen Euro für das Wasserstoff-Kraftwerk hat Enertrag selbst finanziert. Hinzu kamen öffentliche Fördergelder und Beiträge von Total, vom Energiekonzern Vattenfall und der Deutschen Bahn AG. Die Konzerne klinken sich ein, weil sie den Anschluss an die Innovationen bei der Erneuerbaren Energien nicht verpassen wollen. Total-Geschäftsführer Hans-Christian Gützkow betonte: „Auch Autos fahren mit der Kraft des Windes.“

Vattenfall und andere Energiekonzerne wie RWE oder E.ON wissen um die revolutionäre Bedeutung des Hybrid-Verfahrens. Denn dieses könnte ihren großen Kohle- und Gaskraftwerken langfristig die Existenzgrundlage entziehen.

Der entscheidende Punkt ist die Speicherung des Ökostroms. Bis heute haben die Ökoenergien einen wichtigen Nachteil: Wegen der Abhängigkeit vom Wetter steht Wind- und Solarstrom manchmal im Überfluss zur Verfügung, manchmal aber bleibt er völlig aus. „Die Diskontinuität ist eine gravierende Schwäche“, sagte Ministerpräsident Platzeck. Bisher können solche Schwankungen nur die großen, zentralen Grundlast-Kraftwerke der Konzerne ausgleichen. Die laufen quasi permanent und spülen Milliarden in die Kassen der Unternehmen. Speichert man jedoch den Ökostrom, braucht man irgendwann vielleicht kaum noch Grundlast-Kraftwerke. Die großen Energiekonzerne wären quasi überflüssig.

Enertrag-Hauptaktionär Müller bezeichnete die Strom-Speicherung als „archimedischen Punkt“, an dem man den Hebel ansetzen müsse. Auch mit erneuerbaren Energien könne man künftig „vollwertige, bedarfsgerechte Kraftwerke“ betreiben, so Müller. Um zu zeigen, was sein Unternehmen kann, ließ er schließlich noch ein bisschen zaubern. Am Himmel zeigte sich ein Leichtbauflugzeug, dessen Motor von Wasserstoff angetrieben wird. Zur Feier drehte es ein paar Kreise über dem Hybrid-Kraftwerk.

Info-Kasten

Hybrid-Kraftwerk

Standort: Prenzlau nördlich Berlin

Technik: Windstrom und Wasserstoffspeicher

Leistung: Strom für 9.000 Haushalte, Wärme für 80 Haushalte

Kosten: insgesamt 21 Millionen Euro, davon neun Millionen für den Elektrolyse-Teil