Die G20 versuchen eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte. Aber die Umsetzung bleibt lückenhaft
Der Schock saß ihnen in den Knochen, als sich Obama, Merkel, Sarkozy & Co. im November 2008 in Washington trafen. Gerade war die US-Bank Lehman Brothers kollabiert, man redete über die „größte Weltfinanzkrise seit 1929“. Das war der Anlass für einige erstaunliche Schritte und Fortschritte.
Indem sie mit den Regierungschefs Chinas, Indiens, Brasiliens, Indonesiens und anderer aufstrebender Staaten die G20-Gruppe in ihrer heutigen Form gründeten, opferten die alten Industrieländer ihre jahrhundertealte Hegemonie. Außerdem entsagte der Westen seiner Ideologie des Neoliberalismus, jedenfalls rhethorisch. Die 20 mächtigsten Wirtschaftsnationen formulierten gemeinsam: „Alle Finanzmärkte, Produkte und Teilnehmer sollen reguliert oder beaufsichtigt werden“. Kapitalismus ohne Schranken war plötzlich von vorgestern.
Gute Sache, dachte man. Seltsamerweise aber wird das Regulierungsziel heute, drei Jahre später, auch wieder als wichtige Botschaft des bevorstehenden Gipfels in Cannes genannt. Scheinbar müssen sich die Regierungen an ihren eigenen Anspruch erinnern. Ist seit Washington 2008 nichts passiert?
Einige Erfolge haben die Regierungen durchaus erzielt. Beispielsweise müssen viele Banken und Versicherungen jetzt mehr eigenes Geld in Reserve halten, um eventuelle Verluste abzudecken. Das entlastet die Staaten und ihre Geldgeber, die Steuerzahler. Aber reicht das? Mittlerweile ist die zweite Runde der Bankenrettung im Gange. Wieder stellen die Regierungen den Instituten öffentliche Mittel zur Verfügung, damit sie über die Runden kommen. Deshalb meinen selbst liberale Ökonomen inzwischen, die Banken müssten ihr Reservekapital noch viel stärker erhöhen. Die Regulierung der G20 geht in die richtige Richtung, ist aber zu lahm.
Ähnlich sieht es bei der Aufsicht über Banken und Finanzinvestoren aus. Einerseits hat sich Europa seit 2008 durchgerungen, drei neue Behörden zu gründen, um die Geschäfte der Geldhändler permanent zu kontrollieren. Andererseits wusste man auch schon vor drei Jahren, dass die meisten Transaktionen „over the counter“ getätigt werden. Soll heißen: unter vier Augen, dort, wo die Bankenaufsicht nicht zuschaut. Jetzt, in Cannes, will man einen Versuch starten, diesen OTC-Handel aus dem Verborgenen an´s Tageslicht zu holen.
Warum dauern solche Dinge so lange? Unter dem Druck einer Krise und der Öffentlichkeit machen die Regierungen zuerst einen gewissen, theoretischen Lernprozess durch. Geht es dann aber an die Formulierung von Gesetzen, fragen sich die Finanzministerien in London, Peking oder Berlin: Wollen wir das wirklich? Dann rücken die nationalen Interessen der einheimischen Banken in den Vordergrund. So hat die Britische Regierung grundsätzlich wenig Lust, die Profite der Londoner City einzuschränken.
Und auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und sein Staatssekretär Jörg Asmussen mauern an manchen Stellen. Beispiel: Vor dem G20-Gipfel in Seoul im November 2010 beschwerten sich Paris und Washington über die hohen deutschen Exporte. Ein Kernpunkt der Kritik: Die Industrielöhne in Deutschland seien in den vergangenen zehn Jahren wenig gestiegen, deutsche Firmen würden deshalb ihre ausländischen Wettbewerber unfair niederkonkurrieren. Der Exportweltmeister sei mitverantwortlich für die miserable Lage in verschuldeten Staaten wie Griechenland und müsse diesen mehr Möglichkeiten geben, deren Waren hierzulande zu verkaufen.
Mit Zustimmung der Bundesregierung beschlossen die G20 daraufhin, ein „ausbalanciertes Wachstum“ ohne gefährliche Handelsüberschüsse anzustreben. Ein Beobachtungsprozess wurde installiert, seit einem Jahr diskutiert man nun hin und her. Herausgekommen ist aber fast nichts. Deutschland hat seine exportbetonte Politik nicht geändert und will es auch nicht tun.