Die Zentralbank als letzte Retterin

Sollte die Europäische Zentralbank noch mehr Staatsanleihen aufkaufen, um die Schuldenkrise zu beenden?

Italienische Staatsanleihen verlieren weiter an Wert, und selbst französische Banken sind Spekulationsattacken ausgesetzt. Reicht in dieser Situation die fantastische Summe von 1.000 Milliarden Euro noch aus, die Europa gerade mittels des Stabilisierungsfonds EFSF mobilisiert? Oder muss die Europäische Zentralbank ran – mit noch größeren Summen?

Für die zweite Lösung plädiert Gustav Adolf Horn, Direktor des gewerkschaftsorientierten Instituts für Makroökonomie. Notfalls solle die EZB „unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen“, sagt Horn. Seine Überlegung: Nur wenn eine europäische Institution erkläre, mit grundsätzlich unbeschränkten Summen für die Schuldscheine von Euro-Staaten einzustehen, würde die Spekulationswelle gebrochen. Eine solche Erklärung könne nur die EZB abgeben, so Horn.

Er verweist auf die Möglichkeit der Notenbank EZB, Geld zu schöpfen. Indem sie letztlich Euro-Scheine druckt, kann sie prinzipiell viel größere Summen einsetzen, als Regierungen, die ihre Schulden auch zurückzahlen müssen. Besonders die US-Notenbank Fed praktiziert eine solche Politik, indem sie etwa notleidende Banken und Unternehmen in den vergangenen Jahren großzügig mit Barem versorgt hat.

Kann die EZB aber das tun, was Horn verlangt? Die Aufgabenbeschreibung der Zentralbank ist in ihrer Satzung und den Europäischen Verträgen ziemlich eindeutig festgelegt. Als überragendes Ziel ist dort die „Preisstabilität“ des Euro genannt. Mit anderen Worten: Die Zentralbank darf nicht mit beliebigen Summen und Garantien hantieren. Die Geldmenge der Euro auf dem Markt muss in vernünftigem Verhältnis zur Menge der hergestellten Güter stehen, damit nicht durch ein Überangebot von Zahlungsmitteln die Inflation einsetzt.

Christian Calliess, Europarechtler der Freien Universität Berlin, nennt den Paragraph 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dort heißt es, dass der „unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von Mitgliedsstaaten durch die Europäische Zentralbank verboten“ ist. „Die monetäre Haushaltsfinanzierung“ durch die EZB sei damit untersagt, betont Calliess. Grundsätzlich gibt es in dieser Sichtweise zwei Rollen, die auf keinen Fall miteinander vermischt werden dürfen. Die Regierungen finanzieren ihre Einnahmen selbst und müssen sich dafür vor ihren Wählern rechtfertigen. Die von der Politik unabhängige Notenbank hingegen stellt sicher, dass der Kreislauf wertstabilen Geldes funktioniert – nicht mehr und nicht weniger.

Verstößt die EZB in der Realität nicht aber selbst gegen diese Normen? Schließlich hat sie seit vergangenem Jahr Staatsanleihen Griechenlands, Italiens und anderer Staaten im Wert von rund 180 Milliarden Euro gekauft, um deren Wert zu stabilisieren. Calliess findet das rechtlich und politisch zwar sehr bedenklich, sieht aber auch, dass die Mehrheit seiner Kollegen anderer Meinung ist. Paragraph 123 verbietet zwar den „unmittelbaren“ Kauf von Staatsanleihen durch die EZB bei einer Regierung, nicht aber den Erwerb der Schuldscheine auf dem Markt. Auf diesem so genannten Sekundärmarkt aber ist die EZB heute aktiv.

So sieht es etwa Jurist Joachim Wieland von der Verwaltungshochschule Speyer. „Heute ist die Grenze des juristisch Möglichen durch die Anleihekäufe der EZB noch nicht überschritten“, sagt Wieland. „Wann genau dies der Fall sein würde, ist auch schwer zu definieren. Wenn die EZB aber beispielsweise permanent als größter oder einziger Marktteilnehmer auftreten würde, wäre das durch die Verträge nicht mehr gedeckt.“ Auch Ökonomin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung unterstützt diese Sichtweise. Gegenwärtig betreibe die Zentralbank begrenzte Marktpflege in einer Notsituation, so Schäfer. Eine unbegrenzte Garantie für Staatsanleihen sei dagegen nicht möglich. „Die EZB ist kein Staatsfinanzierer“, sagt Schäfer.

Ende der Durchsage? Nicht unbedingt. Natürlich ließe sich die Rechtsgrundlage ändern, auf der die EZB steht. Jurist Wieland fügt hinzu: „Wenn die EZB unbeschränkte Garantien für Staatsanleihen übernehmen sollte, ginge das nur mit Änderungen der europäischen Verträge.“ Darauf allerdings, dass die Bundesregierung so etwas mitmachen würde, deutet gegenwärtig gar nichts hin.