Mehr als eine Gasverbindung

Ostseepipeline sichert russische Gaslieferungen / Experte erwartet schnellen Preisanstieg mit anschließendem Einbruch

In Lubmin an der Ostsee konnten die versammelten europäischen Regierungschefs, einschließlich Ex-Kanzler Gerhard Schröder, endlich einmal wieder am großen Rad drehen. Nachdem das vollbracht war, zog das vor erste vor zehn Tagen in Sibirien geförderte Erdgas vor ihnen vorbei ins westeuropäische Netz.

Eine „neue Schlagader“ für den Erhalt der europäischen Wirtschaftskraft nennt Frankreichs Ministerpräsident Francois Fillon die 1224 Kilometer lange Verbindung zwischen dem russischen Ort Wyborg und der deutschen Küste. „Die europäischen Konsumenten können 25 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland bekommen“, freute sich sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew über sichere Staatseinnahmen und Bundeskanzlerin Angela Merkel ahnt eine lange wechselseitig Abhängigkeit zwischen Lieferanten und Abnehmern. „Wir werden Jahrzehnte eng miteinander verbunden sein“, sagt die Kanzlerin.

Nach fünf Jahren Bauzeit haben der russische Energiekonzern Gazprom, E.on Ruhrgas, Gas de France, BASF Wintershall und die Nederlandse Gasunie die erste Pipeline unter der Ostsee in Betrieb genommen. Eine zweite soll im kommenden Jahr folgen. Die Daten beeindrucken. Aus 2,4 Millionen Tonnen Stahl wurden 101.000 Rohre gegossen und mit Beton ummantelt. 7,4 Milliarden Euro brachte das Konsortium dafür auf, 26 Millionen Haushalt in der EU mit Erdgas zu versorgen.

Das Projekt war anfangs höchst umstritten. Insbesondere im Nachbarland Polen kam Ärger auf, weil das Gas nun daran vorbei geleitet wird. In Deutschland sorgte das Engagement des Ex-Kanzlers für Kritik, der den Bau gegen gutes Geld förderte. Aber am strategischen Nutzen der Anlage gibt es wenig Zweifel. „Das wird die Risiken entlang der Energielieferkette minimieren“, verspricht Medwedew und verweist auf die auch in Zeiten schlechter Beziehungen geübte Vertragstreue Russlands. Tatsächlich werden mit Nord Stream die politischen Risikoländer Weissrussland und Ukraine umgangen, durch die das Gas bisher geleitet wurde.

Pipelines sind von enormer strategischer Bedeutung für die langfristig sichere Versorgung mit Gas oder Öl. Knapp 530 Milliarden Kubikmeter Gas verbrauchten die EU-Länder im vergangenen Jahr. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) steigt der Bedarf bis zum Ende des Jahrzehnts auf 587 Milliarden Kubikmeter an. Die Regierungen sehen daher zu, dass sie sich einerseits mit möglichst vielen Förderländern gut stellen, andererseits den Bau von Transporteinrichtungen unterstützen.

Derzeit ist auf dem Gasmarkt viel Bewegung. Nord Stream ist nur ein Projekt von vielen. Als Konkurrenz wird vielfach das Projekt Nabucco gesehen, bei dem unter anderem RWE mitmischt. Nabucco soll Erdgas aus dem Kaspischen Meer und dem Nahen Osten nach Europa bringen. 2013 soll der Bau beginnen. Daran wird allerdings in Fachkreisen gezweifelt. RWE werden Kontakte zu Gazprom nachgesagt. Steigen die Essener bei Nabucco aus, könnte das das Aus für die Planungen bedeuten. Das zweite große Vorhaben nennt sich South Stream und wird von Gazprom geplant.

Zugleich werden weltweit viele Anlagen zur Herstellung von Flüssiggas projektiert, das einfach mit dem Tanker zum Kunden gebracht werden kann. Deshalb erwartet die Unternehmensberatung A.T.Kearney in einer jetzt veröffentlichten Studie ab 2015 einen Angebotsüberhang. In den nächsten zwei bis drei Jahren rechnet die US-Firma noch mit heftigen Preissteigerungen um bis zu 40 Prozent. Danach wiederhole sich vermutlich der scharfe Preiseinbruch des Jahres 2009.

Die vielfach befürchtete Abhängigkeit von russischen Lieferungen hält Kearney-Experte Kurt Oswald für übertrieben. „Gazprom wird noch sehr lange von Europa abhängig sein“, glaubt er. Denn China erfüllt nicht die Erwartungen als alternativer Absatzmarkt. Die Chinesen förderten immer mehr Gas selbst.