„Deutschland verschärft die Eurokrise“

Milliardär und Philantrop Georges Soros kritisiert die Bundesregierung

Der berühmte Investor und Spekulant George Soros ist nicht mehr so richtig auf der Höhe. Als er am Mittwoch in Berlin die deutsche Ausgabe seines neuen Buches vorstellt, fällt es dem grauhaarigen 81Jährigen mitunter schwer, die passenden englischen Fachtermini zu finden. Schließlich nimmt er Zuflucht zum schriftlichen Manuskript. Die darin enthaltene Kritik unter anderem an Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings wiegt schwer: Die Politik der Bundesregierung und der Bundesbank trage dazu bei, die Eurokrise zu verschärfen, nicht sie zu lindern.

Soros ist einer der erfahrensten und reichsten Finanzinvestoren der Welt. Mehrmals in seiner Karriere hat er Warnungen und Ratschläge an die Adresse von Regierungen ausgesprochen, sich aber in der Folge auch nicht gescheut, die jeweilige politische und ökonomische Situation auszunutzen und brutal Kasse zu machen. So erzielte Soros mit seinem Quantum Fonds 1992 angeblich einen Gewinn von mehr als einer Milliarde Dollar, als er gegen das seiner Ansicht nach überbewertete britische Pfund spekulierte. Großbritannien musste mit seiner Währung deshalb aus dem europäischen Währungssystem ausscheiden.  

Sein aktuelles Buch „Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika“, eine Sammlung von Reden, Vorträgen und Artikeln, enthält zwei Hauptargumente zur Eurokrise. Erstens sagt der Milliardär: Die augenblickliche Finanzpolitik der Eurozone-Staaten und der Europäischen Zentralbank (EZB) reiche nicht, um die Staatsfinanzen Griechenlands, Spaniens oder Irlands zu stabilisieren. Als Beleg verweist er auf die hohen und teils wieder steigenden Schuldzinsen, die beispielsweise Spanien zahlen müsse, um seine Staatsanleihen verkaufen zu können.

Soros zieht daraus die Schlussfolgerung, dass viele Investoren auf den Finanzmärkten die Lage der verschuldeten Euro-Länder nach wie vor als prekär einschätzen – ein Bankrott sei nicht ausschließen. Die Summen, die Europa zur Absicherung dieser Staaten bereitstelle, seien demnach zu gering. Soros schlägt einen anderen Mechanismus vor: Die Euro-Staaten sollten sich grundsätzlich mit gemeinsamen Papieren, so genannten Euro-Bonds verschulden, damit die schwachen Staaten in Form niedrigerer Zinsen von der Bonität der starken Ländern profitierten.

Außerdem warnt Soros vor einer „Spirale der Deflation“, die die von Deutschland aufgezwungene Sparpolitik auslöse. Der Investor stellt zwar die grundsätzlich notwendige Sanierung der Staatsfinanzen nicht in Frage, hält aber die Fokussierung auf Sparen für tödliche Medizin. Griechenland beispielsweise brauche beides: solide Finanzpolitik plus europäisches Geld, um das Wachstum anzukurbeln. Sonst würden Athen, aber auch Spanien, Portugal und Irland nur weiter in die Krise rutschen.    

Mit diesen Positionen steht Soros nicht allein. Viele Ökonomen argumentieren ähnlich. Zu ihnen gehört auch US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Bei allem Verständnis für die Sicht der Bundesregierung und der Bundesbank lautet die vielfach geäußerte Kritik: Deutschland müsse einsehen, dass Europa und der Euro nur zu bewahren seien, wenn die stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents mehr finanzielle Verantwortung übernehme.

Bei alledem, sagt der Milliardär, argumentiere er nicht aus ökonomischem Interesse. „Ich kümmere mich nicht mehr aktiv um mein eigenes Geld.“ Er wolle nicht gegen den Euro spekulieren, sondern wünsche ihm im Gegenteil Erfolg. Als Rentier im Ruhestand überlasse er das Alltagsgeschäft inzwischen jüngeren Leuten. Wobei Soros´ aktive Manager sicher aufmerksam zuhören, wenn der Alte seine Einschätzungen abgibt. Und der hat vermutlich nichts dagegen, wenn sein Vermögen weiter wächst.

Zumal Soros seit längerem daran arbeitet, nicht nur als Investor, sondern auch als Menschenfreund in Erinnerung zu bleiben. Der gebürtige Ungar mit jüdischen Wurzeln, der den Judenmord überlebte, während der 1950er Jahre nach Großbritannien auswanderte und später in die USA übersiedelte, hat mit viel Geld die osteuropäische Demokratiebewegung unterstützt. Auch im Westen fördert seine Stiftung liberale und sogar linke Gruppen. Weil Soros den Irak-Krieg für einen Fehler hielt, positionierte er sich öffentlich gegen den damaligen US-Präsidenten George Bush. Der Investor steckte Milliarden Dollar in die erneuerbaren Energien. Ebensowenig scheute er sich Geld zu spenden, um eine Kampagne zur Legalisierung des Besitzes geringer Mengen von Marihuana zu fördern.

An dieser Mischung aus ökonomischer Macht und Bürgersinn mag es liegen, dass George Soros  noch immer ein begehrter Gesprächspartner ist. Als er im vergangenen Januar die englische Ausgabe seines neuen Buches beim Weltwirtschaftsforum in Davos präsentierte, kamen 300 Leute oder mehr. Die Auftritte von Staatspräsidenten und Außenministern nebenan waren keine direkte Konkurrenz für den Investor.

George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika. Plassen Verlag, Kulmbach. 160 Seiten. 24,90 Euro.