Von Touristen umschwirrt und der Polizei beobachtet campieren Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Sie wollen arbeiten dürfen
Hamid Reza Moradi nimmt sein Leben in die Hand. Er geht ein hohes Risiko ein, um seine Vorstellungen umzusetzen. Nun gerät er in Konflikt mit Polizei und Bundesregierung. Der 29Jährige sitzt vor dem Brandenburger Tor in Berlin, um gegen die Situation von Flüchtlingen in Deutschland zu protestieren.
Moradi ist selbst auf der Flucht. Der 29jährige mit den schwarzen, lockigen Haaren und dem grünen Halstuch spricht gut Englisch. Im Iran hat er Elektrotechnik studiert. Weil er sich politisch gegen die Regierung engagierte, fürchtete er, verhaftet zu werden. Mal zu Fuß, mal per Auto flüchtete er durch die Türkei bis nach Athen. Für 3.500 Euro, die Moradis Familie finanzierte, verschafften Schmuggler ihm einen Flug nach Deutschland. Er beantragte politisches Asyl, worauf seine Odyssee vorläufig in einer Sammelunterkunft in Weiden in der Oberpalz endete.
„Ich suchte Freiheit und fand ein unsichtbares Gefängnis“, sagt Moradi. Wer hierzulande Asyl beantragt, darf meist keine normale Arbeit suchen, keinen Deutschkurs machen und den Ort seiner Unterkunft nicht verlassen. Dann stecken die Flüchtlinge oft jahrelang in irgendeinem Kaff auf dem Land fest – verdammt, Däumchen zu drehen. „Ich halte es nicht aus, ohne Perspektive herumzusitzen“, sagt Moradi, „ich möchte selbstständig leben, ich brauche keine Sozialhilfe.“
Das sehen die anderen rund 20 Aktivisten genauso, die seit Wochen vor dem Brandenburger Tor ausharren – Tag und Nacht, bei Regen und Kälte. Anfangs nahm die Polizei ihnen Schlafsäcke und Decken weg. Da traten die Protestler in den Hungerstreik. Auch Moradi hat tagelang nichts gegessen. Schließlich genehmigte der Bezirk einen Reisebus mit Heizung. Der steht nun mit Transparenten behängt auf dem Pariser Platz, daneben ein Plastiktisch mit Informationsmaterial und Thermoskannen.
Wie es weitergeht, ist unklar. Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, sagte bei ihrem Besuch zu, dass sie bis zum 15. November ein konkretes Angebot machen wolle: eine Einladung in den Bundestag. Dann soll über die Forderungen der Protestierer gesprochen werden, beispielsweise das Verbot, den Ort der Sammelunterkunft zu verlassen (Residenzpflicht) und einer bezahlten Arbeit nachzugehen.
Moradi und seine Mitstreiter wären wahrscheinlich bereit, den Platz zu räumen, wenn die Regierungsfraktionen oder CSU-Innenminister Hans-Peter Fredrich ein Signal gewisser Gesprächsbereitschaft senden würden. Martina Mauer vom Berliner Flüchtlingsrat sagt es so: „Die Bundesregierung muss ihre Blockadehaltung aufgeben und die diskriminierenden Sondergesetze, die für Flüchtlinge gelten, endlich abschaffen.“ Auch die Evangelische Kirche fordert die Abschaffung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbotes.
Vorläufig bleibt es aber bei der skurrilen Situation vor dem Berliner Wahrzeichen. Touristen aus China und Japan nutzen die malerische Szene als Kulisse für ihre Urlaubsfotos. Vordergrund Winken, in der Mitte Protest, im Hintergrund das Brandenburger Tor. Derweil achten die Polizisten in den drei Mannschaftwagen darauf, dass die Flüchtlinge nur die genehmigten drei Tische und vier Stühle auf´s Pflaster stellen. Das Camp soll nicht zu groß werden.
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Asyl
Das Recht, in Deutschland politisches Asyl zu beantragen, steht im Grundgesetz. In diesem Jahr berufen sich darauf rund 50.000 Flüchtlinge. Die Zahl steigt wieder. In den 1990er Jahren kamen jedoch viel mehr. Alleine 1995 waren es 167.000 Asylsuchende. Viele stammen heute aus Ländern, in denen Krieg, Unruhen und Unsicherheit herrschen – unter anderem Syrien, Afghanistan, Irak und Iran. Tausende Roma und Sinti halten es in Serbien und Mazedonien nicht mehr aus, weil sie dort diskriminiert und bedroht werden.