Der Rechtfertigungsdruck steigt

Regeln wie die Schweizer Abzocker-Initiative führen zur Mäßigung bei Managergehältern

So schnell kann die öffentliche Meinung umschwingen. Vergangene Woche galt die Schweiz vielen Bundesbürgern noch als Rückzugsort schwerreicher Steuerhinterzieher, nun ist man beeindruckt von der Zivilcourage der Eidgenossen. Haben die Schweizer doch in ihrer Volksabstimmung am ersten März-Wochenende mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, die hohen Gehälter von Konzernmanagern einzudämmen.

Die Eidgenössische Volksinitiative besagt, dass künftig in jedem Fall die Hauptversammlung von Aktiengesellschaften über die Gehälter des obersten Führungspersonals beschließen muss. Kungeleien in den Gremien sind damit erschwert. Im Übrigen werden bestimmte Bonuszahlungen und Abfindungen verboten. Ein goldener Handschlag in der Höhe von 58,5 Millionen Euro, den Novartis-Chef Daniel Vasella zum Abschied erhalten sollte, ist dann nicht mehr möglich.

Thomas Minder, Initiator der Initiative und Mitglied in der Kantonskammer des Schweizer Parlamentes, kann sich seitdem vor Anfragen aus aller Welt kaum retten. Der US-Sender CNN interviewte ihn zu seiner „Fat-Cat-Initiative“. Das britische Wirtschaftsministerium bestellte die englische Übersetzung des Initiativtextes. In Deutschland wollte selbst FDP-Chef Rainer Brüderle nicht abseits stehen. „Wir können in der Koalition noch vor der Bundestagswahl ein Zeichen setzen“, kündigte der Spitzenkandidat der Liberalen nebulös an.

Vielleicht fällt manchen Politikern die Zustimmung so leicht, weil Regeln wie die Schweizer Initiative grundsätzliche Änderung suggerieren, in einem entscheidenden Punkt aber alles beim Alten lassen. Die absolute Höhe der Managergehälter wird nicht begrenzt. Novartis-Chef Vasella oder VW-Vorstand Martin Winterkorn können auf dieser Basis weiterhin zweistellige Millionenverdienste erhalten – nur eben nicht mehr als Einstiegs- oder Ausstiegsbonus.

Auch auf die Relation zwischen den Gehältern der Führungsschicht und den Löhnen der normalen Beschäftigten wirkt sich eine Eingrenzung á la Schweiz nicht unbedingt aus. Obwohl es gerade dieses eklatante Missverhältnis ist, dass viele Bürger stört. In den USA verdienen Vorstandsvorsitzende von Aktiengesellschaften nicht selten das Zweihundertfache normaler Löhne. Mit seinem Gehalt von 16,6 Millionen Euro für 2011 lag auch VW-Chef Winterkorn in dieser Größenordnung.

Solche Zahlungen kommen zustande, obwohl die Vereinigten Staaten und Großbritannien bereits das „Say on Pay“ der Hauptversammlung, das bald auch in der Schweiz kommt, verbindlich vorgeschrieben haben. Die Logik derartiger Regeln: Im eigenen finanziellen Interesse werden die Eigentümer einer Aktiengesellschaft, die Aktionäre in der Hauptversammlung, ihren Angestellten in den Leitungsgremien Maßlosigkeit bei den Honoraren nicht genehmigen. Dieselbe Annahme drückt sich im deutschen Aktiengesetz aus, das als Reaktion auf die Finanzkrise seit 2009 ebenfalls Beschlüsse der Aktionäre über „angemessene“ Chefgehälter vorsieht – allerdings nicht verbindlich.

Was bringen solche Regeln dann? Trotz allem sind sie nicht nutzlos, sondern spiegeln einen Wertewandel, dem sich manche Manager und Unternehmen nicht entziehen können oder wollen. Wegen der seit fünf Jahren anhaltenden Debatte über Krise, Gier und Regulierung sind die Bürger und die Öffentlichkeit sensibilisiert. Das wissen die Politiker, die wiedergewählt werden möchten, aber auch die Unternehmer, deren Produkte die Bürger kaufen sollen. Das ökonomische Interesse der Firmen ist somit an Wertentscheidungen der Konsumenten gekoppelt. Betrachten die Verbraucher ein Unternehmen mit Argwohn – warum auch immer – mag sich das in der Bilanz niederschlagen. Unter anderem in Anerkenntnis dieses Mechanismus hat Winterkorn sein Gehalt für 2012 freiwillig um 5,5 Millionen auf 14,5 Millionen Euro reduzieren lassen. Angesichts der Höhe mag mancher nun lachen, aber Verringerung ist Verringerung. Die zivilisierende Wirkung der Debatte sollte man zur Kenntnis nehmen, auch wenn das konkkrete Ergebnis fragwürdig bleiben mag.

Hier stellt sich auch die Frage: Wäre mehr möglich? Die Linke fordert es. Sarah Wagenknecht möchte die Managergehälter auf das Zwanzigfache der Löhne der untersten Lohngruppe des jeweiligen Unternehmens begrenzen. Eine schwierige Forderung, weil beliebig: Warum das Zwanzig-, nicht aber das Dreißigfache? Breite Akzeptanz für das richtige Verhältnis zu finden, erscheint kaum realistisch. Außerdem hat man es sofort mit dem Problem zu tun, dass auch Fußballer, Musiker und Maler ganz erstaunliche Summen verdienen, die mitunter jedes Maß zu sprengen scheinen. Warum sollen Firmenchefs sich in Bescheidenheit üben, einflussreiche Unterhaltungs- und Kulturschaffende aber nicht?

Marktpreise in einer Marktwirtschaft reglementieren zu wollen, ist sehr kompliziert. Viele Bürger empfinden das als Eingriff in ihre Selbstbestimmung. Insofern müssten sich diejenigen sehr warm anziehen, die Wagenknechts Forderung umsetzen wollten. Tausende Vorstandschefs, Aufsichtsräte, Manager der zweiten und dritten Führungsebene, Banker und Unternehmer stünden hinter den Barrikaden, unterstützt von einem guten Teil des Bürgertums. Keine gute Aussicht auf Erfolg.

Plausibler klingt da, was Dietmar Hexel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, unlängst wieder vorgeschlagen hat. Jeder Aufsichtsrat solle für sein Unternehmen eine spezielle Relation festlegen, wieviel die Vorstände im Vergleich zur Belegschaft verdienen dürften. Nicht alle Manager würden über einen Kamm geschoren, die Gehälter orientierten sich an den jeweiligen Gegebenheiten der Unternehmen und Branchen orientieren. Mehr Flexibilität – mehr Akzeptanz. Allerdings dürfte diese Position mit der gegenwärtigen Regierung nicht durchsetzbar sei. Mit einem SPD-Kanzler Peer Steinbrück vermutlich auch nicht.

Trotzdem treiben solche Vorschläge die Debatte voran. Möglicherweise kommen weitere Regulierungen zustande. Vorläufig lautet die positive Nachricht: Der Rechtfertigungsdruck auf Bezieher sehr hoher Einkommen steigt und manche Exesse unterbleiben – immerhin.