„Kein bestimmtes Präparat wünschen“

Zum Verhalten bei Arzneimittelknappheit

Kaum hat der Herbst begonnen, warnen Deutschlands Apotheker wieder vor Engpässen bei Medikamenten. Bereits in den vergangenen beiden Jahren gab es Probleme. Lohnt es sich, Medikamente auf Vorrat zu kaufen? Sollte man sich im Ausland eindecken? Und wie groß ist der Mangel überhaupt? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Welche Medikamente sind betroffen?

Nach Angaben des Apothekenverbands Abda sind derzeit knapp 500 Medikamente nicht lieferbar. „Betroffen ist ein breites Spektrum, darunter auch Antibiotika, Diabetesmittel, Schmerzmittel, insgesamt zurzeit etwa 500 Wirkstoffe“, sagt Sprecher Christian Splett. Auch im vergangenen Jahr gab es Engpässe. Vor zwei Jahren waren Fiebersäfte für Kinder praktisch ausverkauft. Hier sei die Lage gerade nicht allzu besorgniserregend, sagt Splett.

Was kann ich tun, wenn ich fürchte, ein Arzneimittel könnte knapp werden?

„Aus Verbrauchersicht ist empfehlenswert, sich klarzumachen: ,Was ist mein Bedarf, wie wichtig ist mir ein bestimmtes Medikament?‘“ sagt Peter Grieble, Leiter der Abteilung Versicherung, Pflege, Gesundheit bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Und wenn ich dann Sorge habe, kann ich mich jetzt bereits mit Arzneimitteln eindecken.“ Das hat allerdings seine Tücken. So sei unklar, was tatsächlich knapp werde, sagt Grieble. „Und es besteht die Gefahr, dass man die Medikamente wegwerfen muss, wenn man sie nicht brauchte und sie abgelaufen sind.“ Zudem gilt: „Medikamente auf Rezept kann man ohnehin nicht langfristig auf großen Vorrat kaufen.“

Worauf muss ich achten, wenn ich regelmäßig Medikamente benötige?

Besonders schwierig wird die Lage für diejenigen, die chronisch erkrankt sind und dauerhaft auf Arzneimittel angewiesen sind. „Chronisch Kranke, die Medikamente auf Rezept bekommen, wissen, was sie brauchen und gehen auch rechtzeitig zum Arzt“, sagt Splett. „Wichtig ist hier, das Rezept rechtzeitig an die Apotheke zu geben, so dass die Apotheke ein paar Tage Zeit hat, die Medikamente zu beschaffen.“

Wie verhalte ich mich, wenn ich akut erkrankt bin?

„Wer sich selbst behandeln möchte und ohne Rezept in die Apotheke kommt, sollte sich nicht ein bestimmtes Präparat wünschen“, sagt Abda-Sprecher Splett. „Besser ist, das eigene Leiden zu schildern. Die Apothekerin oder der Apotheker finden dann das richtige Mittel, das hilft und verfügbar ist.“ Verbraucherzentrale-Experte Grieble empfiehlt, sich umzusehen. „Möglicherweise bekommt man ein Medikament nicht in der nächsten Apotheke, aber bei der nächsten oder spätestens der übernächsten.“ Auch wer zum Arzt geht, sollte auf die Experten vertrauen. „Oft weiß der Arzt bereits, ob zum Beispiel bestimmte Antibiotika fehlen und verschreibt andere, ähnliche“, sagt Splett. „Oder Apotheker und Arzt sprechen miteinander, welches Antibiotikum geeignet und verfügbar ist. Gegebenenfalls wird ein neues Rezept ausgestellt.“

Können Online-Apotheken helfen?

Grundsätzlich ist eine Online-Apotheke nichts anderes als eine stationäre Apotheke, nur, dass die Medikamente versandt werden. Der Experte der Verbraucherzentrale sieht kein Problem, sich dort einzudecken: „Wenn eine Online-Apotheke das Produkt bietet, dass die Verbraucherin haben will, kann sie die auch nutzen“, sagt Grieble. Engpässe dürften aber auch eine solche Apotheke treffen.

Lohnt es sich ins EU-Ausland zu fahren?

Rezeptfreie Arzneimittel lassen sich dort möglicherweise leichter bekommen. Bei rezeptpflichtigen gilt: „Ein deutsches Rezept, wenn es denn noch auf Papier vorliegt, wird im Ausland möglicherweise anerkannt“, sagt Abda-Sprecher Splett. „Es gilt dann wie ein Privatrezept: Der Patient muss das Medikament komplett bezahlen.“ Ob die Krankenkasse etwas erstattet, sollte man vorab erfragen. Schwierig wird es bei den neuen digitalen Rezepten. „Bei E-Rezepten müsste die ausländische Apotheke an das deutsche System angeschlossen sein“, sagt Splett. „Das ist unrealistisch.“

Warum gibt es Engpässe?

Medikamente können aus mehreren Gründen knapp werden, etwa wenn die Nachfrage plötzlich steigt. Das kann bei frei verkäuflichen Arzneien auch ausgelöst werden, wenn ein Produkt im Internet beworben wird. Engpässe kann es auch geben, weil nicht genug hergestellt wird. Viele Standardwirkstoffe kommen inzwischen aus wenigen großen Fabriken in Asien, weil es dort günstiger ist, als in Europa zu produzieren. Gibt es Probleme in einer dieser Fabriken oder auf dem Lieferweg, lässt sich kaum Ersatz an anderer Stelle herstellen. Zudem sind die Preise für Medikamente im deutschen Gesundheitssystem gedeckelt. In Zeiten der Knappheit lohnt es sich für Hersteller unter Umständen eher, Produkte in anderen Ländern zu verkaufen als hierzulande.

Wie lassen sich Engpässe verhindern?

Eine Möglichkeit ist, Hersteller zu verpflichten, wieder in Europa zu produzieren. Was einfach klingt, lässt sich nicht so einfach umsetzen. Zudem dauert es Jahre, bis eine Fabrik mit den Reinraumvorgaben aufgebaut ist. Bekommen die Unternehmen mehr Geld für ihre Produkte, könnten sie mehr Interesse daran haben, diese zu liefern. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ein Gesetz erlassen, dass die Lieferengpässe verringern soll. Unter anderem gibt es unter Umständen mehr Geld für Hersteller und Apotheken. Allerdings ist das gesamte Gesundheitsbudget in Deutschland begrenzt. Nicht nur die Hersteller, auch Apotheker und Ärzte fordern mehr Geld.

Besteht grundsätzlich Grund zur Sorge?

Auch wenn die Apotheker zum Beginn der Grippesaison wie auch schon im Vorjahr warnen, ist die Lage wohl nicht so schlimm wie in den vergangenen zwei Jahren. „Wir bekommen von Verbrauchern aktuell nicht mehr Beschwerden über Engpässe“, sagt Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Auch sonst ist er eher optimistisch. „Ganz grundsätzlich hat Deutschland im globalen Maßstab gute Chancen, knappe Produkte zu bekommen. Wir sind ein finanzstarkes Land.“