Argumente für die Feiertagsdiskussion
An den Feiertagen kommt die Familie zusammen. Nicht immer ist es besinnlich, gerade in diesem Jahr könnten einige Wirtschaftsthemen aufregen. Argumente für erhellende Gespräch
1. Der deutschen Wirtschaft geht es angeblich schlecht. Warum steigen dann die Börsenkurse?
Wie die Wirtschaft läuft, zeigt das Bruttoinlandsprodukt, die Summe aller Leistungen. Und die ist in Deutschland zuletzt geschrumpft. Die Autoindustrie zum Beispiel hat offenbar nicht die Produkte entwickelt, die weltweit gefragt sind. Das hat Folgen auch für Zulieferbetriebe. Die Börsenkurse geben das nur zum Teil wieder. Die meisten deutschen Unternehmen sind nicht an der Börse notiert. Dort finden sich vor allem große, die international tätig sind. Zudem bildet der Deutsche Aktienindex Dax viele Firmen ab. Die, die gut laufen überwiegen. Der Softwarekonzern SAP treibt die Börse eher an, der Pharmakonzern Bayer und VW bremsen eher.
Die Aktienkurse werden nicht nur von der Geschäftslage der Unternehmen beeinflusst, sondern auch von Anderem, sinkenden Zinsen zum Beispiel. Es kann attraktiver sein, in Aktien zu investieren, als mickrige Erträge auf einem Tagesgeldkonto mitzunehmen. Zudem spiegeln Kurse eher Spekulation auf künftige Gewinne wider als die wahre Lage der Wirtschaft.
2. Die Inflation sinkt. Wann wird es wieder billiger?
Weniger Inflation heißt leider, dass die Preise im Schnitt immer noch steigen, allerdings nicht mehr so stark. Das bedeutet auch: So günstig wie 2019 wird es nicht mehr. Wichtig: Weil die Löhne und Gehälter in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen sind, können sich viele Menschen trotz höherer Preise ein klein wenig mehr leisten – im Durchschnitt jedenfalls. Wer keine Arbeit hat, konnte auch nicht von höheren Löhnen profitieren. Und die Inflationsrate ist ein Durchschnittswert. Energie ist binnen eines Jahres sehr viel billiger geworden, was überdeckt, dass zum Beispiel einige Lebensmittel wie Butter und vor allem Dienstleistungen sehr viel teurer wurden. Manche Lebensmittel sind dagegen günstiger zu haben: Marmelade, Mehl und Zucker zum Beispiel.
3. Die USA wollen Zölle erheben. Auch Deutschland braucht sie, um seine Wirtschaft zu schützen.
Donald Trump liebt Zölle. Vor allem, weil er mit ihnen drohen kann, um mit anderen Ländern dann zu verhandeln, etwa mehr US-Produkte zu kaufen. Der designierte nächste US-Präsident glaubt, so auch die riesige Wirtschaftsmacht China auf Abstand zu halten.
Deutschland kann keine Zölle einführen, sie sind Sache der EU. Erhöbe sie zum Beispiel Zölle auf chinesische Waren, würde sich China wohl wehren – mit Zöllen auf EU-Waren. Auch deutsche Produkte verteuerten sich dann in China und verkauften sich schlechter. Für die deutsche Wirtschaft ist das gefährlich. Die Bundesrepublik lebt davon, Waren in alle Welt zu verkaufen.
Selbst wenn Deutschland Zölle erheben könnte: Dass Produktion aus China zurückkommt, ist unwahrscheinlich. Denn es dauert, neue Fabriken zu bauen. Und Deutschland ist im Vergleich zu den USA ein kleiner Markt, da rechnet sich das nicht. Zudem werden die Produkte wegen der höheren Kosten hier teurer hergestellt.
Und es gibt weitere Gefahren. Möglicherweise investieren Firmen nicht, weil die Zölle sie vor der günstigeren und effizienteren ausländischen Konkurrenz schützen. Der Antrieb, besser als die anderen sein zu wollen, entfällt. Dank dieses Antriebs hat zum Beispiel der deutsche Maschinen- und Anlagenbau jahrzehntelang die im Vergleich zum Weltmarkt höheren deutschen Lohnkosten ausgeglichen. Auch deshalb ist er Weltspitze.
Und nie vergessen: Deutschlands wirtschaftlicher Aufstieg und Wohlstand war nur möglich, weil die Kleinstaaterei mit dem Deutschen Zollverein 1834 ein Ende hatte und die Reichsgründung 1871 vorwegnahm. Das ist auch der Kern der EU – ein zollfreier Binnenmarkt.
4. Bürokratieabbau lässt sich offenbar nur brachial machen. Deutschland braucht einen Elon Musk.
Zunächst: Musk soll die Staatsausgaben senken. Deshalb will er zahlreiche Behörden abschaffen, was Bürokratie verringert. Letztlich vereinfachen Regeln und Vorgaben auch das Zusammenleben aller – ein Vorteil von Bürokratie. Grundsätzlich ist der radikale Ansatz, über alles nachzudenken, erst einmal gut. Aber: Wer möchte die Lebensmittelkontrolle abschaffen? Die staatliche KfW mit ihren Förderkrediten, die auch kontrolliert werden müssen?
Viel läuft in Deutschland über die föderale Struktur, es gibt vieles 16 Mal. Das Aus für Bremen, Hessen, Bayern und andere würde enorme Doppelarbeit beenden und die Digitalisierung beschleunigen. Aber die Struktur gibt es genau, um einen starken Zentralstaat zu verhindern. Eine Lösung: Die Bundesländer erfinden nicht alle das Rad neu, sondern eines entwickelt zum Beispiel eine Verwaltungssoftware für alle. Musk mit seinen Kahlschlagphantasien ist dafür nicht nötig.
5. Die Wärmepumpe ist tot. Ölheizungen sind eine günstige Alternative.
Die Wärmepumpe ist mit dem verkorksten Heizungsgesetz der Ampel-Koalition und vermeintlichen Verboten anderer Heizungsarten verknüpft. Die Debatte verlief hitzig und eher ideologisch. Grundsätzlich darf eine Ölheizung eingebaut werden. Ob es sinnvoll ist, ist eine andere Frage.
Sachlich betrachtet hat die Wärmepumpe Vorteile: Sie ist sauberer als eine Gas- und Ölheizung, braucht weniger Platz, der Einbau wird staatlich gefördert. Die Wärmepumpe wird mit Strom betrieben, idealerweise aus erneuerbaren Quellen in Deutschland. Eine Ölheizung wird mit einem Stoff befeuert, der auf dem Weltmarkt gekauft werden muss. Die deutsche Förderung in der Nordsee reicht bei weitem nicht.
Wer mit Öl heizt, ist deshalb immer dem Spiel der Weltmächte ausgeliefert. Es ist unklar, wie sich der Preis entwickelt. Vor allem das Kartell Opec, die Organisation Erdöl exportierender Länder, ist daran interessiert, ihn hochzuhalten. In der Bundesrepublik dürften die Preise für Heizöl über die Jahre steigen, weil die Abnahmemengen sinken, wenn die Deutschen modernere Heizungen einbauen. Zudem muss die Heizung von 2029 an zunehmend grüne Brennstoffe verarbeiten – schwierig bei Öl.
Für fossile Brennstoffe wie Öl wird zudem ein CO2-Preis fällig. Derzeit setzt ihn die Bundesregierung fest. Von 2027 an unterliegen Heizungen auch dem EU-Zertifikatehandel, der Preis wird dann europaweit an einer Börse bestimmt. Die Menge der Zertifikate sinkt über die Jahre, so dass der Preis steigen wird.
6. Deutschland hat hohe Energiepreise. Die nächste Bundesregierung setzt wieder auf Atomenergie, dann wird alles billiger.
Atomstrom hat zwei Vorteile: Er fließt stetig und es entsteht kein CO2, das die Erderwärmung befeuert. Der Wiedereinstieg kostet zunächst sehr viel Zeit: Atomkraftwerke müssen genehmigt werden, kaum jemand möchte eines vor der Tür haben. Selbst wenn alles geklärt ist: Derzeit dauert der Bau eines Akw weltweit im Schnitt mehr als zehn Jahre. Die Milliarden-Kosten vieler Neubauten etwa in Frankreich und Großbritannien liegen jeweils um ein Vielfaches höher als geplant.
Die deutschen Altbetreiber EnBW, Eon, RWE und Vattenfall wollen nicht wieder ins Geschäft einsteigen – zu teuer, zu viel Risiko. Das müsste der Staat abnehmen. Und Atomstrom ist derzeit deutlich teurer als Strom aus Kohle, Gas und vor allem erneuerbaren Energien.
Was, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint? Dann fehlt Strom, der Preis kann kurzzeitig hoch schnellen. Solche Stromlücken können Akw, die dauerhaft laufen, nicht füllen. Nötig sind Gaskraftwerke, die bei Bedarf schnell angeworfen werden können.
Bleibt noch der für Jahrtausende strahlende Atommüll. Neuartige kleine, in Masse billig gefertigte Kraftwerke sollen ihn als Brennstoff nutzen. Konzepte gibt es viele. Doch von diesen sogenannten SMR (Small Modular Reactors) ist noch keiner in Betrieb, auch bei Prototypen hapert es bisher.
7. Die EU überschwemmt Deutschland mit Bürokratie und Regeln, die uns lähmen. Allein sind wir besser und effizienter.
Tatsächlich regelt die EU inzwischen sehr vieles. Vor allem das Lieferkettengesetz mit seiner Pflicht, sehr, sehr viel zu dokumentieren, schafft Bürokratie, aber wenig wirtschaftlichen Gewinn. Dann hat die Bundesregierung ohne Not eine deutsche Fassung des Gesetzes noch umfangreicher gestaltet. Das ist nicht Schuld der EU.
Vergessen wird oft, welche Vorteile die Gemeinschaft dank einheitlicher Regeln hat, die jeweils nationale abgelöst haben. Zölle entfallen und damit reichlich Papierkram. Es gibt fast keine Grenzkontrollen. Mit Roaming sind die Mobilfunkkosten in jedem Land auf das gedeckelt, was man zu Hause zahlt. Mit dem Euro entfällt lästiges Umrechnen in vielen Ländern. Es gibt vereinfachte Studentenaustauschprogramme und vergleichbare Studiengänge. Geldüberweisungen sind vereinheitlicht.
Was passiert, wenn man allein alles besser weiß, ist in Großbritannien zu sehen. Die Wirtschaftsleistung ist nach dem Verlassen der EU eingebrochen. Neue Behörden mussten her, um Zölle zu verwalten und das zu übernehmen, was vorher zentral in der EU geregelt war. Der wichtige Handel mit der EU ist wegen Zöllen deutlich teurer und kräftig geschrumpft. Und Briten zahlen plötzlich ein Vielfaches für Mobilfunk.