Die eigenen vier Wände ersetzen das Pflegeheim

Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft (Teil 4): Künftig findet Pflege verstärkt zuhause statt und wird mehr kosten. Bessere Löhne und Arbeitsbedingungen könnten dem Personalmangel entgegen wirken.

Wohngemeinschaft – das klingt nach Studenten, die sich lieber die Nächte um die Ohren schlagen, anstatt Vorlesungen zu besuchen. In Zukunft denken wir bei der Abkürzung „WG“ vielleicht aber ebenso an rüstige Senioren beim Kaffeeklatsch. Viele Menschen haben den Wunsch ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu verbringen und schließen sich zum Wohnen zusammen. Betreuungsdienste und Einkaufshilfen kommen nach hause, nicht ins Heim. „Die Pflege wird individueller“, prognostiziert Zukunftsforscher Horst Opaschowski.

Der Wissenschaftler glaubt nicht an das Schreckenszenario einer älter und gleichzeitig pflegebedürftiger werdenden Gesellschaft. „Ein 80-Jähriger von morgen ist so fit wie ein 70-Jähriger von heute“, sagt er. In seiner Vision des Jahres 2030 existieren keine Altersheime mehr, dafür aber Wohn- und Hausgemeinschaften die mit externen Dienstleistern, wie Pflegediensten und Beratungsstellen vernetzt sind.

Dass Deutschland künftig ohne Pflegeheime auskommt, ist freilich nicht zu erwarten. Einer, der kein Interesse an deren Verschwinden hat, ist Thomas Greiner. Der Vorstandschef der Dussmann-Gruppe, zu der auch der Pflegeheimbetreiber Kursana gehört, sieht in der Pflege und Betreuung von Senioren „das Megathema“ für die nächsten Jahre. 2,25 Millionen Pflegebedürftige gibt es heute in Deutschland. Je nachdem, wie gesund unsere Gesellschaft in Zukunft sein wird, könnten es im Jahr 2030 zwischen drei Millionen und 3,4 Millionen sein. Das hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet. Greiner hofft darauf, dass auch er einen Teil davon abbekommt. Bei Kursana ist der Bau von weiteren Einrichtungen jedenfalls fest eingeplant.

Wie gut die Menschen versorgt werden, hängt vom Angebot der Fachkäfte ab. Schon heute ist die Lage nicht rosig – es herrscht Fachkräftemangel. Zu wenig gut ausgebildetes Personal findet Kursana heute schon in Bayern und Baden-Württemberg, weil es viele Arbeitskräfte in die Schweiz zieht. „Dort wird einfach besser bezahlt“, erklärt Vorstandschef Greiner. In Zukunft sei Deutschland verstärkt auf osteuropäische Pflegekräfte angewiesen.

Dass sich der Engpass bei den Pflegekräften einfach durch polnisches oder russisches Personal beheben lässt, glaubt man beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) nicht. „Ausländische Pflegekräfte wandern an Deutschland vorbei“, erklärt Referentin Johanna Knüppel. Länder wie die USA oder Australien hätten ein besseres Pflegesystem und böten attraktivere Löhne. Nur wenn die Berufe attraktiver gemacht würden, sprich die Ausbildung und die Arbeitsbedingungen verbessert und eine bessere Bezahlung geboten würde, könne man dem Mangel entgegenwirken. „In Großbritannien wird 2020 jeder vierte Schulabgänger in der Pflege gebraucht“, gibt Knüppel zu bedenken, “in Deutschland wird es ähnlich aussehen.“

Die Sorge, im Alter selbst zum Pflegefall zu werden, beschäftigt weite Teile der Bevölkerung. Fast jeder Zweite unter 30 Jahren verbindet seine Gedanken an das Alter „zumindest gelegentlich“ mit der Sorge, er könne pflegebedürftig werden. Das hat eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach ergeben. Die Mehrheit der Befragten ist darüber hinaus überzeugt, dass die Leistungen der Pflegeversicherung im Pflegefall nicht genügen.

Tatsächlich reichen die gesetzlichen Leistungen oftmals nicht aus. Mehrere Hundert bis weit über Tausend Euro berappen Betroffene beispielsweise für einen Heimplatz häufig selbst oder Angehörige oder die Sozialhilfe springen ein. Zwar steigen im nächsten Jahr die Pflegesätze und es gibt mehr Geld vom Staat. Doch wenn künftig immer weniger Junge für immer mehr Alte aufkommen, werden die Kosten für die Pflegeversicherung steigen müssen. Die Bundesregierung schmiedet schon Pläne, wonach sich jeder zusätzlich privat absichern soll. An dieser Stelle wird das System also ebenso individueller – bloß heißt „individueller“ in diesem Fall, „teurer“ für den Einzelnen.

Dass auch der Staat seine Ausgaben drücken will, zeigt ein Pilotprojekt der Region Hannover. Ältere Menschen werden demnächst von Fallmanagern dabei unterstützt, ihre Pflege zuhause zu organisieren. Das ist billiger als ein Heimplatz und die Kommunen sparen Sozialhilfegelder ein. Hat der Modellversuch Erfolg, könnte es später vielleicht doch weniger Pflegeheime geben und die Vision von Zukunftsforscher Opaschowski teilweise eintreffen.


Infobox:

Die Pflegeversicherung ging 1995 an den Start. Bisher teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge dazu. 1,95 Prozent vom Lohn gehen derzeit an die Kassen ab. Für Kinderlose gelten 2,2 Prozent. Auf lange Sicht wird Pflege so nicht finanzierbar bleiben. Union und FDP haben deshalb vor, das bestehende Umlageverfahren um kapitalgedeckte Elemente zu ergänzen. Ein Teil des Risikos soll privat abgesichert werden. Ähnlich wie bei der Riester-Rente würde jeder Versicherte dann eine eigene Vorsorge betreiben und am Ende den angelegten Betrag als Leistung erhalten.