„Es gibt immer noch Vorurteile“

Für Mütter ist es nach einer Trennung ganz selbstverständlich, dass sie ihre Kinder allein groß ziehen. Die Gesellschaft kommt aber mit diesem Lebensmodell immer noch nicht ganz klar. Das zumindest sagt die Leiterin der Berliner Geschäftsstelle des Bunde

Mandy Kunstmann: Immer mehr Eltern beantragen das gemeinsame Sorgerecht. Gehört die alleinerziehende Mutter bald der Vergangenheit an?

Peggi Liebisch: Das gemeinsame Sorgerecht hat nichts mit der Lebensform zu tun. Es hat allein rechtlichen Status und besagt, dass die Eltern in wichtigen Fragen zusammen entscheiden – bei einer Kontoeröffnung für den Sprössling oder der Schulanmeldung zum Beispiel. In rund 90 Prozent der Fälle leben die Kinder bei der Mutter. Sie allein entscheidet dann über die alltäglichen Dinge.

Kunstmann: Es ist doch heute keine gängige Annahme mehr, dass Frauen für Herd und Kinder zuständig sind. Warum leben Kinder trotzdem nach der Trennung eher bei der Mutter und nicht beim Vater?

Liebisch: Das stimmt so nicht. Die klassische Rollenverteilung ist leider immer noch sehr präsent. Die Frauen leben nach der Trennung einfach so weiter wie zuvor und kümmern sich um die Kinder. Die Männer machen ebenso genauso weiter wie gehabt und verdienen das Geld. Da gibt es keinen Bruch zwischen vorher und nachher.

Kunstmann: Früher galten Alleinerziehende als Außenseiter der Gesellschaft. Mittlerweile müssten sie in unserer Mitte angekommen sein?

Liebisch: Alleinerziehende Mütter sind auf jeden Fall in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Für sie ist die Lebensform – oder eher die Lebensphase – etwas ganz Normales. Auch für Kinder ist es nichts Ungewöhnliches, schließlich kennen sie das aus dem Freundeskreis. In den Köpfen mancher Leute gibt es heute aber immer noch Vorurteile. Und nicht nur etwa Arbeitgeber oder Vermieter können befangen sein. Selbst Erzieherinnen oder Lehrerinnen heißen diese Art der Erziehung nicht immer gut.  

Kunstmann: Mit welchen Schwierigkeiten sehen sich Alleinerziehende konfrontiert?

Liebisch: Bei ihnen kumulieren die Probleme, die Paar-Familien auch haben. Für sie ist es schwerer finanziell gut dazustehen, weil sie das Einkommen alleine sichern müssen. Alleinerziehende Mütter arbeiten oft Teilzeit und in klassischen Frauenberufen. Als Altenpflegerin oder Friseurin lässt sich nicht viel verdienen. Dazu müssen sie die Betreuung ohne Partner bewerkstelligen.

Kunstmann: Haben es denn die Mütter im Osten besser, weil es dort mehr Kita-Plätze gibt?

Liebisch: Ob West- oder Ostdeutschland: Es macht keinen Unterschied, wo der Wohnsitz liegt. Im Osten gibt es genügend Kinderbetreuungsangebote, aber keine Arbeit. Im Westen ist es anders herum.

Kunstmann: Zumindest will die Regierung die Kinderbetreuung bis 2013 flächendeckend ausbauen …

Liebisch: Das geht in die richtige Richtung. Aber die Unternehmen werden von der Politik nicht in die Verantwortung genommen. Sie müssten verpflichtet werden, Arbeitsplätze familienfreundlich zu gestalten. Klar, viele Unternehmen bieten flexible Arbeitszeiten an. Das reicht aber bei weitem nicht aus. Sie sollten ihren Mitarbeiterinnen viel mehr entgegenkommen und zum Beispiel betriebseigene Kitas anbieten oder die Betreuungskosten übernehmen.

Kunstmann: Und was kann die Politik noch tun, damit es Alleinerziehende in Zukunft leichter haben?

Liebisch: Die Politik fördert die Ehe. Es gibt höhere Steuervergünstigungen für Verheiratete, aber nicht für Alleinerziehende und Lebenspartner. Das sollte dringend geändert werden.

Bio-Box: Peggi Liebisch leitet seit 2002 die Berliner Geschäftsstelle des Bundesverbandes allein erziehender Mütter und Väter (VAMV). Die 46-Jährige hat zwei Kinder.