Sind auf der Verpackung keine Zusatzstoffe deklariert, können trotzdem welche im Lebensmittel stecken
E 335, E 322, E 440, E 621: Beim Blick auf die Zutatenliste so manch einer Tiefkühlpizza oder Dosensuppe bräuchte man ein kleines Lexikon. Kaum jemand weiß, welches Mittelchen sich hinter welcher Nummer versteckt, geschweige denn welche Wirkung es erzielt. Das hat auch die Lebensmittelindustrie gemerkt und setzt verstärkt auf „Clean Labels“ – auf saubere Etiketten. Die hässlichen Zahlen verschwinden vom Produkt und machen Platz für natürliche Zutaten. Eigentlich dürfte dies die Konsumenten freuen. Doch die Natürlichkeit trügt: Weniger Zusatzstoffe machen die Würstchensuppe oder den Kartoffelsalat nicht unbedingt besser.
„Verbraucher verlangen von den Herstellern Natürlichkeit“, erläutert Lebensmittelexperte Udo Pollmer. Und um diese geforderte ,Natürlichkeit’ zu erreichen, greift die Industrie immer tiefer in die Trickkiste. „Anstelle von Zusatzstoffen setzen die Produzenten einfach Zusatzstoff-Imitate ein, die den gleichen Effekt erzielen“, so Pollmer. Der Clou: Die Imitate werden aus typischen Lebensmitteln gewonnen und müssen nicht als „Zusatzstoff“ deklariert werden.
Perfektes Beispiel für die Kundentäuschung sind die natürlich klingenden Bezeichnungen „Milchprodukt“ und „Milcheiweißerzeugnis“. Die Begriffe lassen kaum ahnen, dass sich dahinter zum Beispiel Emulgatoren verbergen, die durch bestimmte technologische Verfahren aus Molke gewonnen wurden. „In der Mayonnaise und im Eis sorgen Emulgatoren für einen cremigen Mix“, erläutert Lebensmittelchemiker Pollmer. Und in Formfleisch und Wurst lasse sich durch den Hilfsstoff sogar der Wassergehalt erhöhen.
Auch Foodwatch kennt den Trend zur vorgetäuschten Natürlichkeit. „So lassen sich die Produkte besser vermarkten“, sagt der Sprecher der Verbraucherorganisation Martin Rücker. Besonders populär sei es geworden, Glutamat von den Etiketten verschwinden zu lassen. „Die Unternehmen nutzen eine Gesetzeslücke aus“, erklärt Rücker „und setzen Hefeextrakt ein –
eine glutamathaltige Substanz, die nicht als Zusatzstoff deklariert werden muss.“ Ganz frech würden einige Hersteller dann die Vorderseite ihrer Produkte mit „Ohne Zusatz von Geschmacksverstärkern“ bewerben, das Glutamat hinten in der Zutatenliste im Hefeextrakt verstecken.
Der Verbraucherzentrale Hamburg (vzh) sind die Mogeleien der Lebensmittelproduzenten schon seit Langem ein Dorn im Auge. Auch hier kann man berichten, wie die Masche mit dem vermeintlich sauberen Etikett funktioniert: „Es kommen zum Beispiel färbende Lebensmittel wie Spinat, Rote Beete oder Färberdistelkonzentrat zum Einsatz“, erläutert Lebensmittelexperte Armin Valet. Ein Erdbeerjoghurt könne so ganz legal mit „100 Prozent Natur“ werben und in der Zutatenliste Rote Beete zu lesen sein. Freilich, die rote Frucht ist nicht schädlich und auch gegen Spinat ist nichts einzuwenden. Dennoch hat der Hamburger Verein etwas dagegen: „Wir erwarten, dass vor den Zutaten das Wörtchen ,färbendes Lebensmittel’ steht“, so Valet. „So können Konsumenten ganz klar erkennen, dass der verführerischen Optik mit einer kleinen Trickserei nachgeholfen wurde.“
Einige Zutaten, die die Industrie zur „Aufwertung“ ihrer Erzeugnisse verwendet, klingen besonders lecker. Bei dem Wort „Rosmarinextrakt“ wird manchem Verbraucher das Wasser im Munde zerlaufen. Schließlich ist das mediterrane Kraut für sein intensives Bukett bekannt, welches selbst einen einfachen Gemüseeintopf in einen Gaumenschmaus verwandelt. Zur Enttäuschung jedes Hobbykochs zeichnet sich das Produkt anstelle des erhofften verführerischen Geschmacks durch ein ziemlich dürftiges Aroma aus. „Öle und Fette zum Braten werden zum Beispiel mit dem Kräuterextrakt versetzt“, berichtet Lebensmittelexperte Pollmer. „Der Stoff wird dazu benutzt, die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern und ersetzt den Zusatzstoff Butylhydroxyanisol, auch BHA oder E 320 genannt“, so Pollmer.
Doch nicht nur Negatives berichten Verbraucherschützer über den Trend zur vermeintlichen Natürlichkeit: „Wenn Hersteller künstliche Farbstoffe durch natürliche ersetzen, ist das ein Fortschritt“, sagt vzh-Experte Valet. Schließlich könnten bestimmte künstliche Farbstoffe Hyperaktivität bei Kindern fördern.