Bekannte Sicherheitsprobleme in Atomkraftwerken

Dass die Stromerzeugung aus Atomspaltung auch in Deutschland nicht hundertprozentig sicher ist, kritisieren Experten seit Jahrzehnten. Nun will die Bundesregierung die Defizite überprüfen

Am Dienstag um 10.00 Uhr trifft sich Kanzlerin Merkel mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, in denen Atomkraftwerke stehen: Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Das wichtigste Thema ist dabei, ob die 17 deutschen AKW gefährliche Sicherheitsdefizite aufweisen. Die Bundesregierung will dazu auch eine Expertenkommission einsetzen. Unsere Zeitung beleuchtet die wichtigsten Problembereiche.

Risse im Stahl

Dieses Problem tritt vermehrt in alten Atomkraftwerken auf. Leitungen und andere Teile ermüden mit der Zeit, weil sie permanent unter hohem Druck, großer Hitze und radioaktiver Strahlung arbeiten. Experte Wolfgang Neumann vom Gutachter-Büro Intac hat „Rissbildungen in den Rohrleitungssystemen“ alter Siedewasserreaktoren wie Brunsbüttel, Krümmel, Isar 1 und Philippsburg 1 analysiert. Häufig bereits seien schwache Bauteile ausgetauscht worden. „In der Praxis traten korrosionsgestütze Risse jedoch immer wieder auf“, so Neumann. Werden Risse in Kühlleitungen nicht rechtzeitig erkannt, kann es zu Unfällen und Überhitzung des jeweiligen Atomkraftwerks kommen.

Flugzeugabsturz

Besonders die älteren Atomkraftwerke in Deutschland sind gegen den Aufprall eines großen Verkehrs- oder Frachtflugzeugs unzureichend gesichert. Käme es zu einem Terrorangriff wie auf das World Trade Centers am 11. September 2001, würde der Beton- und Stahlmantel des Reaktorkerns möglicherweise nicht standhalten. Beispielsweise in den Kraftwerken Philippsburg 1 und Isar 1, die in den 1970er Jahren in Betrieb genommen wurden, sind das Maschinenhaus und das Schaltanlagengebäude überhaupt nicht gegen Flugzeugabsturz ausgelegt. Ihre Zerstörung würde dazu führen, dass die AKW nicht mehr gesteuert werden könnten.

Schwache Druckbehälter

In Atomkraftwerken wie Isar 1 wurden die Sicherheitsbehälter um den Reaktorkern kompakt und eng gebaut. Das bedeutet: Im Inneren ist wenig Platz für Gase, die bei Unfällen entstehen können. „Sicherheitsanalysen haben ergeben, dass Kernschmelzabläufe möglich sind und in diesen Fällen von einem schnellen Versagen des Sicherheitsbehälters auszugehen ist“, sagt Atomexperte Neumann. Radioaktivität könnte nach außen dringen.

Verstopfte Kühlung

In neueren Druckwasserreaktoren existiert Kritikern zufolge das sogenannte „Sumpfsiebproblem“. Das heißt: In den Sieben der Notkühlung am Boden des Reaktors können sich Faserrückstände von Leitungsisolierungen sammeln, befürchtet Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Im Extremfall könne dadurch das Notkühlsystem versagen und der Reaktor heißlaufen. Trotz Reparaturen bestehe das Problem in verschiedenen Anlagen grundsätzlich fort, so Rosenkranz.

Hohe Kosten

Um die Atomkraftwerke sicherer zu machen, wären in manchen Anlagen eigentlich Investitionen von einer Milliarde Euro oder mehr notwendig. Als die Bundesregierung 2010 über ihr Energiekonzept verhandelte, schätzten Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums die Nachrüstungskosten auf rund 20 Milliarden Euro bei zwölf Jahren zusätzlicher Laufzeit. Bei einzelnen Anlagen wäre die Nachrüstung beispielsweise gegen Flugzeugabstürze so teuer, dass sie die Stromproduktion unrentabel machte.

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Brand im Atomkraftwerk

Was schief gehen kann, geht schief. Murphys Gesetz hat eine besondere Bedeutung für Atomkraftwerke, denn die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist bei Unfällen sehr groß. Jochen Luhmann, Wissenschaftler am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie, schildert einen Unfall im Block 1 des DDR-Atomkraftwerks Greifswald, der sich 1975 zutrug. Aus Versehen verursachte ein Techniker einen Kurzschluss mit einer Zange, es folgten technische Probleme, falsche Reaktionen in der Schaltzentrale, dann brach ein Brand aus. Das alles war eine Verkettung unglücklicher, nicht plan- und vorhersehbarer Umstände. Beinahe hätte dies zum Durchbrennen des Reaktors geführt. Mit viel Glück bekam die Bedienungsmannschaft die Anlage nach einem Tage jedoch wieder unter Kontrolle – und verschwieg die Havarie bis nach der Wende.