"Koalition mit CDU nahezu ausgeschlossen"

Interview mit Bärbel Höhn, grüne Fraktionsvize, zur Baden-Württemberg-Wahl und zum Atomausstieg

Frage: Frau Höhn, die Grünen wollen den schnellen Atomausstieg. Drohen dann nicht höhere Strompreise für Verbraucher und Unternehmen?

Bärbel Höhn: Wenn man alle Atomkraftwerke (AKW) sofort abschalten würde, hätte es Auswirkungen auf den Preis. Aber wir wollen zunächst nur die alten Meiler stilllegen und die anderen Meiler in der nächsten Legislaturperiode. Das würde sich kaum im Strompreis niederschlagen. Nach der Abschaltung der acht AKW jetzt hat sich der Börsenpreis am Spotmarkt für Strom auch nicht bewegt, denn Deutschland produziert Überschüsse an Elektrizität.

Frage: Aber der Netzausbau für die erneuerbaren Energien kostet viele Milliarden Euro. Werden diese Investitionen nicht am Ende über höhere Preise von den Kunden bezahlt?

Höhn: Das wird schon so sein. Aber die Netzinvestitionen schlagen viel weniger auf den Preis durch, als man meint. Ein durchschnittlicher Haushalt würde deutlich weniger als zehn Euro im Jahr dafür zahlen. Das Problem ist doch ein anderes. Wir brauchen einen Bundesnetzplan und ein gesellschaftlich konsensfähiges Energiekonzept. Den Konsens gab es unter Rot-Grün mit dem Ausstiegsplänen schon einmal. Schwarzgelb hat ihn mit der Laufzeitverlängerung aufgebrochen, so dass es jetzt keine Planungssicherheit mehr gibt. Wir brauchen wieder Planungssicherheit. Ein Bundesnetzplan wiederum kann intelligent gestaltet werden, wenn man zum Beispiel auf die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung für die Abdeckung der Spitzenlast setzt. In diesem Fall muss das Netz nicht so stark ausgebaut werden.

Frage: Der Netzausbau stößt doch gerade bei Ihrer Wählern auf Widerstand.

Höhn: So ist es nicht. 24 vordringliche Projekte werden derzeit umgesetzt. Bei dreien gibt es laut Bundesnetzagentur Verzögerungen aufgrund von Bürgerprotesten. Da beschweren sich aber Anhänger jeder Parteien. Man muss ernsthaft mit den Menschen reden und gemeinsam verträgliche Lösungen finden.

Frage: Im Bundesumweltministerium wird ein neues Sicherheitskonzept für AKW erstellt. Wird Kernkraft damit nicht sicherer?

Höhn: Vieles davon gab es im kerntechnischen Regelwerk schon vorher. Es wurde von Jürgen Trittin in Auftrag gegeben und unter Sigmar Gabriel fertiggestellt, aber vom amtierenden Minister Norbert Röttgen nie in Kraft gesetzt. Röttgen durfte bei der Bundestagsdebatte dazu nicht einmal reden. Nun muss man sehen, was die Reaktorsicherheitskommission tatsächlich vorschlägt. Da sitzt die versammelte Atomlobby, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dazu ist der zuständige Abteilungsleiter des Umweltministeriums ein ehemaligen Atommanager. Die Branche darf quasi selber die Sicherheit der AKW überprüfen.

Frage: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat den Atomkurs der Regierung angeblich als Wahlkampfmanöver dargestellt. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Höhn: Teilnehmer dieser Runde bestätigen, dass er es gesagt hat. Nur er leugnet es nun. Die Protokollanten sollen jetzt Schuld daran sein. Das ist Wahltaktik hoch drei und Brüderle veräppelt die Menschen.

Frage: Union und Grüne sind bei der Atompolitik völlig unterschiedlicher Auffassung. Ist das Modell einer Schwarz-Grünen Koalition damit nicht für lange Zeit vom Tisch?

Höhn: Die Grünen in Baden-Württemberg haben eine Koalition mit der CDU nahezu ausgeschlossen. Dort gab es zwar eine gewisse Nähe der Grünen zu konservativen Positionen. Aber der Wahlkampf hat hier Spuren hinterlassen. Die CDU hat unseren Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann aus Angst vor dem Verlust der Macht persönlich schwer angegriffen. Dazu kommen die Konflikte um die Atomkraft und Stuttgart 21. Aber am Ende muss jeder Landesverband selbst entscheiden, mit wem er koaliert.

Frage: Die Politik wird immer kurzfristiger. Langfristige Strategien werden schnell wieder über den Haufen geworfen. Richten sich die Parteien nur noch nach aktuellen Stimmungen?

Höhn: Das beobachte ich auch mit großer Sorge. Langfristige Politik wird in Wahlen nicht mehr honoriert. Statt dessen konzentrieren sich die Parteien darauf, in den letzten Wochen vor einer Wahl Wähler zu mobilisieren. Das ist eine Gefahr für die Demokratie. Eine Regierung könnte am Ende vier Jahre lang schlecht regieren und in den letzten drei Wochen noch die Basis für ihre Wiederwahl legen. Das ist problematisch und schürt die Politikverdrossenheit.