Bahn hat 173.000 Mitarbeiter kontrolliert

Konzern verteidigt Kampf gegen Korruption / Politiker entsetzt

Im Verkehrsausschuss des Bundestags ließ der oberste Korruptionsbekämpfer der Deutschen Bahn am Mittwoch die Katze aus dem Sack. Der Konzern habe 173.000 Mitarbeiter und 80.000 Firmen überprüfen lassen, berichtete der frühere Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner. Die Abgeordneten zeigten sich entsetzt. Die Bahn habe ihre Beschäftigten unter Generalverdacht gestellt, kritisierte zum Beispiel der Grüne Verkehrsexperte Winfried Herman, der einen massiven Verstoß gegen schutzwürdige Interessen vermutet.

Die umstrittenen Vorgänge reichen bis ins Jahr 1998 zurück. Damals begann der Konzern mit der intensiven Suche nach bestechlichen Mitarbeitern. Jährlich investiert das Unternehmen Milliarden, vor allem in Bauprojekte, die besonders korruptionsanfällig sind. Die Berliner Detektei Network Deutschland GmbH sollte in den folgenden Jahren immer wieder verdächtigen Mitarbeitern auf die Spur kommen. 2002 und 2003 lief dann die groß angelegte „Rasterfahndung“, wie es der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix vor dem Ausschuss genannt haben soll. Dabei wurde mittels Adressvergleichen kontrolliert, ob Konzernbeschäftigte an Lieferfirmen beteiligt waren oder direkt mit anderen Unternehmen verbunden sind. Auch Kontodaten wurden laut Bericht des Datenschutzbeauftragten an die Späher weitergegeben. In 300 Fällen entdeckten die Ermittler Auffälligkeiten, bei jedem dritten davon ergab sich ein Korruptionsverdacht. Das Vorgehen kann für die Bahn teuer werden. Es ist rechtlich umstritten, ob die betroffenen Arbeitnehmer nicht im Nachhinein hätten informiert werden müssen. Das hat der Konzern unterlassen.

Die Dimension der Überwachung hat die Bahn nur scheibchenweise eingeräumt. Im vergangenen Sommer gab der Konzern die Zusammenarbeit mit der Detektei zu. In der letzten Woche wurde die Kontrolle von fast 800 Führungskräften und deren Ehepartnern eingeräumt. Nun sieht es so aus, als seien die meisten Beschäftigten im Inland durchleuchtet worden.

Dix Bericht an den Ausschuss gibt einen Einblick in die damalige Praxis. Unter blumigen Projektnamen wie „Rubens“, „Thymian“, „Eichhörnchen“ oder „Babylon“ liefen verdeckte Ermittlungen. Beim „Projekt Uhu“ fahndete Network nach einem Mitarbeiter, der Bahnchef Hartmut Mehdorn anonym bei Finanzbehörden Steuerdelikten bezichtigt hatte. Durch den Vergleich von Schriftproben der in Frage kommenden Angestellten kamen die Detektive einem mutmaßlichen Verfasser der Schreiben auf die Spur.

Die Bahn verteidigt ihr Vorgehen weiter. Der Abgleich von Mitarbeiter- und Lieferantenadressen sei unabhängig von der Zahl der Betroffenen nicht zu beanstanden. „Hieraus einen Spitzel oder Ausspähskandal zu konstruieren, ist maßlos übertrieben“, sagt Schaupensteiner. Die Bahn sei besonders anfällig gegen Korruption, deren Opfer am Ende die Kunden, Steuerzahler und Mitarbeiter wären.