Sozialbericht 2024: Mütter wollen mehr arbeiten, als sie können
Wie tickt Deutschland? Alle drei Jahre liefert der Sozialbericht umfangreiche Daten zu Arbeit und Bildung, Familie und Gesundheit, Vermögen, Werten und Zufriedenheit der Bundesbürger mit ihrem Leben. Letztere ist erstaunlich gut, wie die neueste Ausgabe zeigt. Die Deutschen sind auch vermögender geworden. Und die Experten haben ein enormes Potenzial entdeckt, um den Fachkräftemangel zu mildern.
Zufriedenheit: Mit ihrem Leben sind die Bundesbürger sehr zufrieden. Auf einer Skala von 0 „vollkommen unzufrieden“ bis 10 „vollkommen zufrieden“ liegen die Werte um die 7,4. Philip Wotschack vom Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), das den Sozialreport mit herausgibt, sprach von einem allgemein hohen Niveau. Seit 2004 ging es deutlich aufwärts, wie Zahlen des Sozioökonomischen Panels zeigen. Allerdings gab es 2021 einen Knick nach unten.
Für das Panel befragt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin jährlich wiederkehrend dieselben Haushalte umfangreich zu ihrer Lebenssituation. Aufwärts ging es beim Einkommen und bei der eigenen Wohnung. Hier sind die Bundesbürger deutlich zufriedener mit ihrer Situation als vor mehr als zehn Jahren. Die neuesten Daten stammen von 2021. Neuere sind im Sozialbericht nicht erfasst, das politische Hickhack der Ampelregierung, die teils stark gestiegenen Preise im Zuge des Ukraine-Krieges und die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank flossen nicht ein. Allerdings auch nicht die hohen Lohnzuwächse der vergangenen Jahre.
Fachkräfte: Um den Fachkräftemangel zu mildern, eines der großen Probleme der deutschen Wirtschaft, schlagen Experten seit Jahren vor, Frauen stärker einzubinden. Der Sozialbericht liefert belastbare Zahlen, wie groß das Potenzial allein bei Familien ist. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Bib) hat untersucht, wie viel Mütter und Väter je nach Alter des jüngsten Kindes gern arbeiten würden und das mit den echten Arbeitszeiten verglichen. Vor allem Frauen würden danach gern mehr tun. Wäre das möglich, stünden dem Arbeitsmarkt rein rechnerisch 645.000 Vollzeitkräfte zusätzlich zur Verfügung, wie Martin Bujard vom Bib ausgerechnet hat.
Ein Grund dafür, dass Frauen nicht so viel arbeiten können, wie sie wollen: fehlende Ganztagsbetreuung an Kitas und Schulen. Sie sollte aus Sicht der Experten ausgebaut werden. Auch sollten die Arbeitgeber flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten und so Mütter fördern. „Das wäre für den Arbeitsmarkt im Fachkräftemangel hilfreich, sagte Bujard. „Das sind alles hochqualifizierte Frauen.“
Es gibt auch Zahlen zu Vätern. Die arbeiten danach deutlich mehr, als sie eigentlich wollen. Könnten sie die aus ihrer Sicht ideale Zahl von Stunden arbeiten, verlöre der Arbeitsmarkt grob 320.000 Vollzeitkräfte. Das Bib befragte in Deutschland rund 30.000 Erwachsene zwischen 20 und 80 zu dem Thema.
Vermögen: Ihre Vermögen haben die Bundesbürger zwischen 2011 und 2021 um 62 Prozent erhöht. Danach besaß jeder Haushalt zuletzt im Schnitt 316.500 Euro. Getrieben wurde das Plus ganz wesentlich von den Preisen für Häuser und Wohnungen, die in der betrachteten Zeit um 39 Prozent zulegten. Die Vermögen sind allerdings dem WZB-Experten Wotschack zufolge ungleich verteilt. Zehn Prozent der reichsten Bundesbürger besitzen 55,5 Prozent des Gesamtvermögens – viel im europäischen Vergleich. Im Schnitt gehört den Reichsten nach Zahlen der Europäischen Zentralbank von 2021 rund 53,4 Prozent des Gesamtvermögens.
Und während in Ostdeutschland jeder Haushalt im Schnitt 151.000 Euro besitzt, sind es im Westen 360.000 Euro. Als Gründe nennen die Experten geringere Löhne im Osten, einen schwachen Immobilienmarkt und die Geschichte: In der DDR ließ sich kaum Vermögen aufbauen. Im Westen wird dagegen viel altes Vermögen vererbt, etwa Immobilien. Im Schnitt wohnen 41,8 Prozent der Bundesbürger in einer eigenen Immobilie. In Berlin und Hamburg sind es mit 16 und 20,1 Prozent am wenigsten, im Saarland mit 59,5 Prozent am meisten.
Erfasst beim Vermögen sind neben Immobilien, Autos, privater Altersvorsorge, Geldanlagen, Hypotheken und andere Kredite. Nicht erfasst sind zum Beispiel Ansprüche auf staatliche Rente, Pensionen oder eine Betriebsrente. Würden sie einbezogen, dürfte sich das Nettovermögen verdoppeln, sagte Markus Grabka vom DIW. Solche Ansprüche lassen sich aber anders als Wohnungen oder Aktien nicht beleihen oder verkaufen, weshalb sie in den Statistiken zum Vermögen üblicherweise nicht eingerechnet werden.
Demokratie: In Westdeutschland hielten 87 Prozent der Bundesbürger die Demokratie 2022 für die beste Staatsform, wie der Sozialbericht zeigt, in Ostdeutschland sind es 80 Prozent. So richtig begeistert sind aber nicht alle davon, wie sie funktioniert. 72 Prozent der Westdeutschen und nur 42 Prozent der Ostdeutschen sagten Anfang 2023, sie seien ziemlich oder vollkommen zufrieden. Der Schnitt in Osteuropa sind 48 Prozent, in Westeuropa 65 Prozent. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für die politische Bildung, bezeichnete die schwachen Werte vor allem im Osten als dramatisch.
Den Sozialbericht gibt die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Statistischen Bundesamt, dem WZB und dem Bib heraus. Die aktuelle Ausgabe bildet die Bundesrepublik auf 440 Seiten und unter www.sozialbericht.de in Zahlen ab. Zuletzt erschien der Bericht 2021, damals als Datenreport.