Bei der Produktion von Fertiggerichten zeigt sich die Lebensmittelindustrie erfinderisch/ Anstelle von echten Calamari-Ringen kommen jetzt auch Kringel aus panierter Tintenfisch-Pampe auf den Tisch
Tapetenkleister in Tintenfischringen: Was hier stark nach dem nächsten Lebensmittelskandal klingt, ist in Wahrheit ein Blick in das Rezeptheft der Lebensmittelindustrie. Mithilfe von Zusatzstoffen wie Methylcellulose schaffen es die Produzenten inzwischen, Calamari-Ringe aus Fischbrei nachzubauen. Verbrauchern fällt die Täuschung auf den ersten Blick nicht auf.
Heute ist es technologisch möglich, nahezu jedes Gericht als Convinience-Produkt anzubieten, ob nun Backfisch, Hackbällchen oder Schwarzwälder Kirschtorte. „Ohne bestimmte Zusatzstoffe, die in den Gerichten eine bestimmte Funktion übernehmen – etwa verdicken, stabilisieren oder färben – ist die Massenproduktion von solch aufwendigen Nahrungsmitteln selten machbar“, sagt der Biologe Christian Niemeyer, der das Hamburger Zusatzstoffmuseum leitet.
Bisweilen übertreiben es die Hersteller mit ihren Ideen für den modernen Lebensmittelgenuss – zum Beispiel beim Tiefkühlprodukt „Calamares à la Romana“, also Tintenfischringen im Teigmantel, die zuhause frittiert auf den Teller kommen. Eigentlich möchte man meinen, tunken die Hersteller für die Produktion der mediterranen Fertignahrung Abschnitte von Tintenfischtuben in einen Teig. Häufig ist das auch der Fall, wie bei den „Calamares à la Romana“ von Edeka, deren Backteig es auf sage und schreibe 15 Ingredienzien bringt – von Wasser über das Verdickungsmittel Guarkernmehl, bis hin zum Farbstoff Riboflavin.
Doch es geht auch anders. „Calamares à la Romana“ bietet auch das Hamburger Unternehmen Iceland Seafood an. Wie bei Edeka stecken hier ebenso 50 Prozent Tintenfisch im Gericht. Doch mit echten Tintenfischringen hat der Tüteninhalt nicht mehr viel zu tun. Als „Tintenfischringe geformt aus zerkleinertem Tintenfischfleisch im Backteig“ beschreibt der Hersteller seine Kreation. Die Aufmachung des Produkts suggeriert dem Verbraucher allerdings echten Calamari-Ring-Genuss. Beim Anblick der goldbraun frittierten Ringe auf der Vorderseite der Verpackung, lässt sich nicht erahnen, dass es sich lediglich um Brei-Kringel handelt.
Neben Weizenmehl, Wasser und Paniermehl findet sich auch Methylcellulose als Zutat im Form-Tintenfischs „Methylcellulose ist ein Mulifunktionstalent“, erläutert Zusatzstoffexperte Niemeyer. „Sie ist nicht nur Hauptbestandteil vieler Tapetenkleister, sondern dient zum Beispiel auch als Füllstoff und Verdickungsmittel in verschiedenen Nahrungsmittel- und Kosmetikprodukten.“ Der menschliche Organismus könne den Stoff nicht verdauen. Giftig sei er allerdings nicht.
„Pampe“: Mit diesem Wort bringt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg auf den Punkt, was er von den Tapetenkleister-Calamari hält. Aus Sicht der Verbraucherzentralen handele es sich hier um Verbrauchertäuschung, so der Lebensmittelexperte. Rein rechtlich könne der Anbieter dem Vorwurf jedoch entgegenhalten, dass ja alles auf der Verpackung stehe. Das sei ähnlich wie beim Schinken, der häufig aus einzelnen Fleischstücken zusammengefügt werde.
Verbraucher sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert: Ohne Expertenwissen können sie die Zutatenlisten auf den Tüten, Schachteln, Dosen und Bechern nicht verstehen. „Der normale Kunde weiß nicht, dass der Farbstoff ,natürliches Karmin’ aus getrockneten Weibchen der Scharlachschildlaus gewonnen wird“, so Biologe Niemeyer. „Wer würde schon auf die Idee kommen, dass die rote Farbe des Fleischsalats oder Lollis aus kleinen Krabbeltieren gewonnen wird?“ Und wer wisse schon, dass es sich bei der Zutat Alginat um ein aus Braunalgen gewonnenes Verdickungs- oder ein Geliermittel handele, das Eis, Soßen oder Mayonnaise zu ihrer Konsistent verhelfe?
Tipp: Verbraucher, die sich durch die Aufmachung eines Lebensmittels getäuscht fühlen, können das Produkt dem Online-Portal www.lebensmittelklarheit.de melden.
Ein „ABC der Zusatzstoffe“ finden Interessierte im Internet unter www.zusatzstoffmuseum.de.