„Die Arbeitnehmerfreizügigkeit kann nur ein Teil der Lösung sein“

Die Zeitarbeit spürt den Fachkräftemangel genauso wie andere Branchen, sagt Volker Enkerts, Präsident des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP). Im Interview spricht der Hamburger Unternehmer darüber, wie Deutschland den Fachkräftemang

Mandy Kunstmann: Deutschland mangelt es an Ingenieuren, Ärzten und Personal im Gesundheits- und Pflegebereich. Spürt man den Fachkräftemangel auch in der Zeitarbeitsbranche?

Volker Enkerts: Uns trifft es genauso wie die anderen auch. Die Zeitarbeit ist ein Querschnitt durch die Arbeitswelt. Uns fehlen ebenso Ingenieure oder Pflegekräfte. Zu einem großen Teil beschäftigt die Zeitarbeit aber einfache Arbeitnehmer und Hilfsarbeitskräfte, die Kisten einpacken oder am Fließband stehen. Insgesamt könnten wir sofort 50.000 vollwertige, sozialversicherungspflichtige, unbefristete Stellen besetzen.

Kunstmann: Hat der Mangel an Arbeitskräften negative Auswirkungen auf die Zeitarbeitsbranche?

Enkerts: Mit der Wirtschaftslage sind wir sehr zufrieden, und es geht uns gut. Aber wir könnten viel mehr Zeitarbeitnehmer beschäftigen, wenn wir sie hätten. Unsere Kunden müssen allerdings mit Umsatzverlusten und Exporteinbußen rechnen, wenn sie Personal nicht von uns bekommen. Und eventuell gehen ihnen Marktanteile verloren.

Kunstmann: Seit Mai 2011 dürfen osteuropäische Bürger beispielsweise aus Polen oder Tschechien ohne eine besondere Erlaubnis in Deutschland arbeiten. Wird diese Öffnung des Arbeitsmarktes das Problem des Fach- und Arbeitskräftemangels lösen?

Enkerts: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit kann nur ein Teil der Lösung sein. Eine Völkerwanderung aus Osteuropa hat aber nicht eingesetzt. Viel wichtiger ist aber, dass wir unsere eigenen Ressourcen erschließen – auch über systematische und gezielte Fortbildung.

Kunstmann: Würde die Abschaffung der Vorrangprüfung, wie sie es die FDP fordert, dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken? Dann hätten es Unternehmen einfacher, Mitarbeiter, die aus Ländern außerhalb der EU stammen, einzustellen.

Enkerts: Hier sprechen wir von hochqualifizierten Leuten, die in der Zeitarbeit aber nur einen Anteil von etwa zehn Prozent ausmachen. Diese Zielgruppe ist für uns zu klein, um einen umfassenden Lösungsweg hierin zu sehen. Für andere Branchen ist der Vorschlag interessanter.

Kunstmann: Wie kann Deutschland den Mangel an Arbeitskräften in den Griff bekommen?

Enkerts: Die Instrumentarien dafür liegen auf dem Tisch. Wir haben die Zuwanderung aus dem EU-Ausland, die wir gestalten können. In Spanien sind 40 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Viele hoffen auf einen Job in Deutschland. Zudem stoßen Bewerber aus dem Ausland immer wieder auf das Problem, dass ihre Zeugnisse oder Zertifikate hierzulande nicht anerkannt werden. Das muss sich verbessern. Und dann haben wir da noch sieben Prozent Arbeitslose vor der eigenen Haustür, die wir über Qualifizierung gut integrieren könnten.

Kunstmann: Ist der Arbeitskräftemangel in der Zeitarbeit nicht hausgemacht? Schließlich verdienen Beschäftigte, die über eine Zeitarbeitsfirma arbeiten, zum Beispiel in vielen Metallbetrieben weniger als ihre fest angestellten Kollegen.

Enkerts: Der Arbeitskräftemangel ist kein spezifisches Problem der Zeitarbeit, sondern des Arbeitsmarktes insgesamt. Und ein Problem des Geldes ist er auch nicht. Formell sind unsere Tariflöhne zwar niedriger als die üblichen Branchenlöhne. Ein über die Zeitarbeit beschäftigter Hilfsarbeiter verdient im Schnitt 22 Prozent weniger als sein Kollege in der Stammbelegschaft – er hat aber in der Regel auch weniger Erfahrung und Routine und kann somit auch nicht so produktiv sein. Bei einem Controller sind es vielleicht noch etwa fünf Prozent Unterschied. Schon heute bezahlen wir den Zeitarbeitnehmern häufig mehr – und werden künftig auch nicht umhin kommen, das auszuweiten.

Kunstmann: Warum sollten Sie das tun? Es gibt doch Tarifverträge.

Enkerts: Richtig. Fast 100 Prozent der Zeitarbeitnehmer in Deutschland werden nach Tarif bezahlt, darunter etwa 75 Prozent nach einem vom DGB ausgehandelten Vertrag. Doch wenn ein Auftraggeber bereit ist, mehr zu zahlen, weil er zum Beispiel dringend 200 Stellen besetzen möchte, geben wir das natürlich an unsere Mitarbeiter weiter. Da wird es noch viele neue intelligente tarifliche Lösungen geben – über das hinaus, was wir heute schon haben.

Kunstmann:  Also steigen die Löhne in der Zeitarbeit, weil Arbeitskräfte knapp sind?

Enkerts: Unter anderem. Sie steigen aber auch, weil der Tarifvertrag permanente Lohnerhöhungen vorsieht. Erst im Juli ist der Lohn für die unterste Entgeltgruppe auf 7,79 Euro pro Stunde in Westdeutschland, und 6,89 Euro im Osten gestiegen. Wir zahlen damit mehr, als viele andere Branchen. Facharbeiter und Akademiker erhalten natürlich wesentlich mehr. Im November dann folgt die nächste Lohnerhöhung.

Bio-Box: Volker Enkerts (55) ist Präsident des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP). Der BAP ist ein Zusammenschluss der beiden Zeitarbeitsverbände Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA). Im BZA hatte der Hamburger Unternehmer lange Zeit den Vorsitz.