Koalitionsausschuss: Regierung streitet über Einwanderung. Schweden und Kanada wählen Arbeitsmigranten dagegen gezielt aus. Die Kriterien sind unter anderem Sprachkenntnisse und Berufsqualifikationen
Wenn CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen für mehr Einwanderung plädiert, ist ihr massiver Widerspruch aus der eigenen Regierung gewiss. CDU und CSU wollen den Zuzug von Arbeitskärften aus dem Ausland in engen Grenzen halten.
Im Gegensatz zu dieser angstbesetzten Debatte gehen andere, mit Deutschland vergleichbare Industrieländer sehr liberal mit Einwanderung um. So laden Schweden und Kanada Ausländer gezielt ein – ohne freilich alle Migranten bedingungslos aufzunehmen.
Schon an der Wortwahl der schwedischen Einwanderungsbehörde (www.migrationsverket.se) merkt man, dass in dem skandinavischen Land eine andere Stimmung herrscht: „Die schwedische Nation ist offen für die Möglichkeiten der globalen Migration“. Ausländer, die in dem skandinavischen Land arbeiten möchten, müssen im Prinzip nur ein Kriterium erfüllen. „Es reicht aus, einen Arbeitsvertrag mit einem schwedischen Arbeitgeber vorzulegen“, sagt Asa Benteke, die als Referentin für Arbeit und Soziales an der Botschaft in Berlin tätig ist. Ist diese Voraussetzung gegeben, muss nur noch die Gewerkschaft prüfen – auch ein schwedisches Spezifikum. Dann erteilt die Einwanderungsbehörde eine Aufenthaltserlaubnis. Wer fünf Jahre in Schweden lebt, kann die Staatsbürgerschaft erhalten.
Schweden hat dieses Verfahren aus zwei Gründen gewählt. Einerseits ist man als kleines Land mit zahlenmäßig geringer Bevölkerung auf Zuwanderer angewiesen, um den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft zu befriedigen. Andererseits meint man, dass die Unternehmen am besten wissen, wen sie einstellen sollten. Deswegen reicht der Arbeitsvertrag.
In der ersten Hälfte 2010 sind so knapp 14.000 zusätzliche Arbeitskräfte nach Schweden eingewandert. Deutschland müsste pro Jahr 200.000 Arbeitsimmigranten aufnehmen, um gemessen an seiner Bevölkerungszahl, einen ähnlichen Zuzug zu erreichen. Tatsächlich aber wandern nur wenige tausend Arbeitskräfte nach Deutschland ein.
Um das zu ändern, hat Arbeitsministerin von der Leyen vorgeschlagen, die Verdienstgrenzen für Einwanderer zu senken. Den Fraktionen von CDU und CSU geht das allerdings zu weit. Die Fachpolitiker wollen allenfalls zustimmen, die so genannte Vorrangprüfung in Deutschland zu entschärfen. Heute muss die Arbeitsagentur langwierig prüfen, ob ein deutscher Erwerbsloser die Anforderungen einer freien Stelle erfüllt, bevor ein Ausländer sie bekommt.
Ähnlich einwanderungsfreundlich wie Schweden ist Kanada. Begriffe wie das deutsche Wort „Migrationshintergrund“, die die Fremdheit von Ausländern mehr schlecht als recht kaschieren, sind in der dortigen Alltagssprache nicht gebräuchlich. Zwischen Toronto und Vancouver heißen Einwanderer schlicht „Newcomer“, wie Kanadas Botschafter in Berlin, Peter M. Boehm, sagt.
„In Kanada ist Einwanderung kein neues Thema, es gehört zu unserer Geschichte“, so Boehm zur taz. Zum Beispiel „meine Eltern sind vertriebene Siebenbürger Sachsen, die nach dem zweiten Weltkrieg nach Kanada auswanderten – in die Stadt Kitchener, die früher einmal Berlin hieß.“
Das Einwanderungsministerium in Ottawa veröffentlicht regelmäßig eine Liste mit Qualifikationen, die gesucht werden. Die aktuelle Version (www.cic.gc.ca) verzeichnet beispielsweise Biologen, Klempner, Köche, Kranführer, Sozialarbeiter, Zahnärzte und andere.
Potenzielle Einwanderer mit diesen Berufen werden im Rahmen eines Punktesystems bewertet. Wer eine bessere Ausbildung hat oder schon Berufserfahrung mitbringt, erhält viele Punkte. Stark zu Buche schlagen auch die Sprachkenntnisse. Wer die beiden Landessprachen Englisch und Französisch nicht einigermaßen beherrscht, hat schlechte Chancen, im Eignungstest eine ausreichende Punktzahl zu erhalten. Ein ähnliches System schlägt hierzulande die FDP vor, stößt damit bei der Union aber auf Ablehnung.
Rund 75.000 Ausländer will Kanada auf diese Art 2010 ins Land holen. Würde Deutschland entsprechend seiner Bevölkerungszahl eine ähnliche Arbeitsmigration ermöglichen, müsste man dieses Jahr fast 200.000 Neu-Deutsche begrüßen. Sowohl Schweden als auch Kanada realisieren damit die Einwanderung, die Wirtschaftsforscher auch in Deutschland für notwendig halten.
Natürlich existieren historische und kulturelle Unterschiede zwischen Schweden, Kanada und Deutschland. Was dort funktioniert, muss hier nicht unbedingt richtig sein. So sind die beiden anderen Länder viel dünner besiedelt als Deutschland – was die Probleme von Einwanderung reduzieren mag. Trotzdem gibt es auch Gemeinsamkeiten: Alle drei sind hochentwickelte Industrieländer, die trotz Arbeitslosigkeit nicht alle offenen Stellen mit Einheimischen besetzen können. Die Beispiele Schweden und Kanada zeigen, dass es möglich ist, ökonomisch bedingte Einwanderung gezielt dorthin zu lenken, wo Arbeitskräftemangel herrscht.