„Mit Stromsparen Atomausstieg bis 2015“

Deutschland könne durch sparsamere Nutzung seinen Stromverbrauch um „30 bis 40 Prozent verringern“, sagt Energieberater Dieter Seifried. Alleine beim Licht sei es in Privathaushalten möglich, vier Fünftel der Elektrizität sparen

Hannes Koch: Wegen der Atomkatastrophe in Japan will die Bundesregierung sieben Atomkraftwerke zumindest vorübergehend abschalten. SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert, gleich komplett aus der Atomenergie auszusteigen. Hätten wir dann noch genug Strom, um unsere Millionen Kühlschränke, Klimaanlagen und Motoren zu betreiben?

Dieter Seifried: Ja, auch kurzfristig können wir die alten AKW stilllegen, ohne dass es zu Engpässen kommt. Die maximale gleichzeitige Stromnachfrage der Deutschen lag bisher bei rund 80 Gigawatt pro Jahr. 96 Gigawatt beträgt dagegen die Leistung aller deutschen Kraftwerke. Die Anlagen können demnach mehr Strom produzieren, als wir heute verbrauchen. Deshalb exportiert Deutschland elektrische Energie. Und wenn wir uns mehr anstrengen würden, den Stromverbrauch zu reduzieren, könnten wir schon 2015 ganz ohne Atomkraftwerke auskommen.

Koch: Um das Klima zu schützen, sollen aber auch alte Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Droht Deutschland eine Stromlücke, wenn man gleichzeitig auf Atom und Kohle verzichtet?

Seifried: Nicht, wenn wir alle Möglichkeiten nutzen, den Stromverbrauch zu senken. Insgesamt ließe sich der Konsum von Elektrizität in Deutschland um 30 bis 40 Prozent verringern. Dann könnten wir nicht nur auf die AKW, sondern auch auf viele fossile Kraftwerke verzichten. Das Einsparpotential in der Industrie beträgt etwa 20 Prozent, bei Privathaushalten, Kleinverbrauchern und in öffentlichen Gebäuden bis zu 50 Prozent.

Koch: Wie kann man im Privathaushalt schnell viel Strom sparen?

Seifried: Beginnen Sie bei der Beleuchtung Ihrer Wohnung. Ersetzen Sie die alten Glühbirnen durch Energiesparleuchten und die Halogenlampen durch moderne LED-Strahler. Das bringt beim Licht eine Einsparung von 80 Prozent der Energie.

Koch: Die meiste Elektrizität verbrauchen aber die großen Elektrogeräte.

Seifried: Wer seinen zehn Jahre alten Kühlschrank durch ein neues Gerät der Sparkategorie A+ ersetzt, senkt den Stromeinsatz auch an dieser Stelle um 60 bis 80 Prozent. Wenn man eine Waschmaschine nutzt, die das Wasser aus der Warmwasser-Leitung holt, anstatt es elektrisch zu erhitzen, spart man etwa die Hälfte des Stromverbrauchs der Waschmaschine ein. Außerdem ist es ratsam, alle Netzgeräte und Stand-by-Mechanismen an Computern und Unterhaltungselektronik mit schaltbaren Steckdosenleisten vom Netz zu trennen, wenn die Geräte nicht gebraucht werden. Und auf Stromheizungen sollte man grundsätzlich verzichten.

Koch: Viele Bürger beanspruchen pro Kopf zunehmend mehr Wohnraum. Damit steigt der individuelle Stromverbrauch. Auch TV-Geräte werden größer und leistungsstärker. Können wir an unserer bisherigen Definition von Lebensqualität festhalten oder geht es irgendwann um Verzicht?

Seifried: Jeder kann sich überlegen, ob er einen Bildschirm mit zwei Meter Diagonale braucht oder ob vielleicht 80 Zentimeter reichen. Wer tagsüber im Büro arbeitet, muss seine Wohnung während dieser Zeit nicht unbedingt heizen. Erst abends die Heizung anzustellen, erfüllt den Zweck ebenso. Deshalb ist eine gewisse Änderung von Konsummustern sicher nicht falsch. Angesichts des Niveaus, auf dem wir leben, würde ich das aber nicht als Verzicht bezeichnen.

Koch: Ist es in Unternehmen gleichermaßen einfach, den Stromverbrauch zu senken, wie in Privathaushalten?

Seifried: Das hängt von der jeweiligen Branche ab. In Bürogebäuden spielen Beleuchtung und Lüftung eine große Rolle. Dort lässt sich der Stromverbrauch wirtschaftlich um etwa 30 bis 50 Prozent verringern. In Produktionsunternehmen ist das schwieriger und von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Aber auch da stellen wir fest, dass der Stromverbrauch in den vergangenen Jahren mehr oder weniger konstant geblieben ist, während die Leistung der Firmen stieg. Viele Unternehmen senken also permanent den Stromverbrauch pro produzierter Einheit.

Koch: Weniger Elektrizität zu nutzen kann dazu beitragen, die Umwelt- und Gesundheitsrisiken der atomaren und fossilen Erzeugung zu verringern. Reduziert Stromsparen aber auch unsere Stromrechnung?

Seifried: Unter dem Strich schon. Zwar können die Preise steigen, die die Energieerzeuger in Rechnung stellen. Parallel aber sinken Verbrauch und Kosten bei den Privathaushalten, die ihr Einsparpotential nutzen.

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Dieter Seifried (62) arbeitet als Energieberater und Gutachter. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Büros Ö-Quadrat in Freiburg/ Baden-Württemberg, das Konzepte für die Energiewende erstellt.

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Sparen und Erneuern

Neben Einsparungen beim Stromverbrauch ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien die zweite große Strategie, um die Elektrizitätsgewinnung aus Uran und fossilen Rohstoffen wie Kohle überflüssig zu machen. Bis 2050 könne Deutschland seinen Strom komplett aus Regenerativen Energien beziehen, sagt Jochen Flasbarth, der Präsident des Umweltbundesamtes. Übergangsweise brauche man bis dahin auch Kohlekraftwerke, aber nicht mehr als heute in Betrieb oder im Bau seien. Einige große Erdgaskraftwerke müssten allerdings zusätzlich errichtet werden.