Bleibt das Königsrecht für den Euro auf der Strecke?

Die Verpflichtungen aus dem Rettungsschirm für die Währung könnten den Bundestag auf lange Sicht entmachten

Das Parlament kontrolliert die Regierung. Das kann sie traditionell am besten über die Haushaltspolitik. Die Abgeordneten bestimmen, wofür wie viel Geld ausgegeben werden darf. Das macht das Etatrecht seit Jahrhunderten zum Königsrecht des Parlamentarismus. Mit der so genannten Magna Charta sicherte sich der englische Adel 1215 erstmals dieses Vorrecht, um den ausgabefreudigen König der Insel zu zähmen. Wer über die Einnahmen und Ausgaben des Staates bestimmt, hat im Land das Sagen. Im Falle Deutschlands bestimmt der Bundestag laut Grundgesetz über beide Seiten der Medaille, in dem er die Steuern festlegt und den Haushaltsplan erstellt.

Das Königsrecht ist nun in Gefahr. Das meinen zumindest 13.616 Bürger, die eine Petition an den Bundestag gezeichnet haben. Darin betrachten sie den Europäische Stabilitäts Mechanismus (ESM) als Anfang vom Ende der Demokratie in Deutschland. Dieser Euro-Rettungsschirm soll bis Ende September von allen Mitgliedern der Währungsunion beschlossen werden. In Deutschland muss der Bundestag zustimmen. Insofern sind die Rechte das Parlaments gewahrt.

Problematisch finden die Petitisten die möglichen langfristigen Folgen dieser Entscheidung. Denn im schlimmsten Fall, wenn Euro-Länder pleite gehen, kämen auf die Bundesrepublik Garantieforderungen in Höhe von rund 190 Milliarden Euro zu. Sollte dieses Szenario eintreffen, hätte der Bundestag schlicht nichts mehr zu verteilen, also auch keine Gestaltungsmacht mehr. „Diese Summen stehen keinesweg fest“, warnt der Initiator der Petition, der Chemiker Johannes Hüdepohl. Mit jedem Ausfall eines Landes gehen dessen Verpflichtungen im ESM auf die verbleibenden Staaten über. Hüdepohl und seine Mitstreiter fordern die Abgeordneten daher auf, das Gesetz abzulehnen. Vor der entscheidenden Abstimmung in Berlin wird die Petition aber wahrscheinlich nicht mehr behandelt.

Auch im Parlament selbst regt sich Widerstand, zum Beispiel beim CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, der im Bundesverfassungsgericht gegen die Einrichtung klagt. „Mit dem Rettungsschirm wird der Euroraum über den Haftungsverbund für Haushaltsdefizite

anderer Mitgliedsstaaten zu einer dauerhaften Transferunion umgebaut“, befürchtet der Münchner Politiker. In der Koalition grummelt es vor allem wegen dieser Gemeinschaftshaftung. Die Mehrheit für das Gesetz erscheint aber sicher, weil auch die Opposition zustimmen wird.

Wann das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung verkündet, ist noch offen. Die Richter haben aber in der Verhandlung durchblicken lassen, dass die Bundesregierung durchaus Kompetenzen abgeben darf. Skeptischer ist der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Der ESM könne zu einem Mechanismus führen, „unter welchem bei Inanspruchnahme aus der Bürgschaft massiv in den Staatshaushalt eingegriffen werden kann“. Einfluss darauf habe das Parlament nicht, schreiben die Experten. Der Gesetzgebungsprozess zeigt, wie stark die Machtverschiebung vom Bundestag weg hin zur Bundesregierung bereits vorangeschritten ist. Die Regierungschefs der großen Eurostaaten beschließen Hilfspakete, die von den heimischen Abgeordneten nur noch abgenickt werden. So vereinbarten die Partner die Einführung des ESM für Ende September, obwohl den Abgeordneten noch gar kein abschließender Vertrags- und Gesetzesentwurf vorliegt. Laut Regierungssprecher Steffen Seibert sollen die Unterlagen Ende der Woche verschickt werden und selbstverständlich nehme die Regierung keinen Einfluss auf die Terminplanung des Bundestags. Zusammen passt das nicht.

Wie aber ließe sich das von vielen beklagte demokratische Defizit künftig lindern? Eine Möglichkeit bestünde darin, die Rechte des europäischen Parlamentes zu stärken und ihm ein europäisches Budgetrecht einzuräumen. Das würde aber bedeuten, dass die nationalen Parlamente Teile ihrer fiskalischen Kompetenzen nach Strassburg abgeben müssten. Nachteil: Die Nationalstaaten würden zugunsten Europas teilweise entmachtet. Vorteil: Demokratisch legitimierte Entscheidungen könnten zentral so schnell stattfinden, wie es für eine Staatengemeinschaft mit 27 Mitgliedern oft notwendig ist. Die Übertragung von weiteren Kompetenzen nach Europa verhindert in Deutschland aber nicht nur das Bundesverfassungsgericht. Auch die Euro-Skeptiker in Union und FDP, die sich über die mangelnde Mitwirkung des Bundestages beschweren, wollen nicht, dass das Europäische Parlament mehr Einfluss erhält.