Die Zentralbank als letzte Retterin

Die Schuldenkrise bedroht Kerneuropa. Soll die Europäische Zentralbank deshalb noch mehr Staatsanleihen aufkaufen? Tut sie es, obwohl sie es eigentlich nicht darf?

Die Schuldenkrise frisst sich nach Kerneuropa vor. Selbst die Staatsanleihen von Österreich, Finnland und Frankreich verlieren nun an Wert – von Ländern also, die bisher als grundsolide galten. Bleibt als Hort der finanziellen Sicherheit in Europa einstweilen nur Deutschland. Aber wie lange noch? Reichen in dieser Situation die 1.000 Milliarden Euro aus, die Europa mittels des Stabilisierungsfonds EFSF mobilisieren will? Oder muss die Europäische Zentralbank ran – mit möglicherweise noch größeren Summen?

Für die zweite Lösung plädiert eine wachsende Zahl renommierter Ökonomen. Zu ihnen gehören Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Regierungsberater Peter Bofinger und Gustav Adolf Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie. Notfalls solle die EZB „unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen“, begründet Horn. Seine Überlegung: Nur wenn eine europäische Institution erkläre, mit grundsätzlich unbeschränkten Summen für die Schuldscheine von Euro-Staaten einzustehen, würde die Spekulationswelle gebrochen. Eine solche Erklärung könne nur die EZB abgeben, so Horn.

Er verweist auf die Möglichkeit der Notenbank EZB, Geld zu schöpfen. Indem sie letztlich Euro-Scheine druckt, kann sie prinzipiell viel größere Summen einsetzen, als Regierungen, die ihre Schulden auch zurückzahlen müssen. Besonders die US-Notenbank Fed praktiziert eine solche Politik, indem sie etwa notleidende Banken und Unternehmen in den vergangenen Jahren großzügig mit Barem versorgt hat.

Kann die EZB aber das tun, was Horn verlangt? Die Aufgabenbeschreibung der Zentralbank ist in ihrer Satzung und den Europäischen Verträgen ziemlich eindeutig festgelegt. Als überragendes Ziel ist dort die „Preisstabilität“ des Euro genannt. Mit anderen Worten: Die Zentralbank darf nicht mit beliebigen Summen und Garantien hantieren. Die Geldmenge der Euro auf dem Markt muss in vernünftigem Verhältnis zur Menge der hergestellten Güter stehen, damit nicht durch ein Überangebot von Zahlungsmitteln die Inflation einsetzt. Auf diesen Punkt weist ebenfalls eine Reihe namhafter Forscher hin, unter ihnen der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz.

Christian Calliess, Europarechtler der Freien Universität Berlin, begründet diese Position. Er nennt den Paragraph 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dort heißt es, dass der „unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von Mitgliedsstaaten durch die Europäische Zentralbank verboten“ ist. „Die monetäre Haushaltsfinanzierung“ durch die EZB sei damit untersagt, betont Calliess. Grundsätzlich gibt es in dieser Sichtweise zwei Rollen, die auf keinen Fall miteinander vermischt werden dürfen. Die Regierungen finanzieren ihre Einnahmen selbst und müssen sich dafür vor ihren Wählern rechtfertigen. Die von der Politik unabhängige Notenbank hingegen stellt sicher, dass der Kreislauf wertstabilen Geldes funktioniert – nicht mehr und nicht weniger.

Verstößt die EZB in der Realität nicht aber selbst gegen diese Normen? Schließlich hat sie seit vergangenem Jahr Anleihen Griechenlands, Italiens und anderer Staaten im Wert von rund 187 Milliarden Euro gekauft, um deren Wert zu stabilisieren. Calliess findet das rechtlich und politisch zwar sehr bedenklich, sieht aber auch, dass die Mehrheit seiner Kollegen anderer Meinung ist. Paragraph 123 verbietet zwar den „unmittelbaren“ Kauf von Staatsanleihen durch die EZB bei einer Regierung, nicht aber den Erwerb der Schuldscheine auf dem Markt. Auf diesem so genannten Sekundärmarkt aber ist die EZB heute aktiv.

So sieht es etwa Jurist Joachim Wieland von der Verwaltungshochschule Speyer. „Heute ist die Grenze des juristisch Möglichen durch die Anleihekäufe der EZB noch nicht überschritten“, sagt Wieland. „Wann genau dies der Fall sein würde, ist auch schwer zu definieren. Wenn die EZB aber beispielsweise permanent als größter oder einziger Marktteilnehmer auftreten würde, wäre das durch die Verträge nicht mehr gedeckt.“

Was aber bedeutet das nun für die aktuelle Situation? Möglicherweise greifen die Euro-Regierungen und die EZB in ihrer Not einfach zur pragmatischen Lösung. Ohne eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen und das EZB-Recht zu ändern, macht die Notenbank einfach das weiter, was sie schon begonnen hat, nur in größerem Umfang. Sie kauft Staatsanleihen, bald nicht nur griechische und italienische, sondern auch belgische und französische. Damit versucht sie den Investoren den Eindruck zu vermitteln, dass ihre Papiere sicher sind. Begründung der EZB: Wir müssen das tun – als vorübergehende Notmaßnahme. Mit diesem Trick könnte die Bank die Krise entschärfen und trotzdem den Schein der Vertragstreue wahren.