Wissenschaftler kritisieren Hartz-IV-Vorschläge der FDP

Statt Niedriglohn- und Teilzeitjobs zu subventionieren, sollte die Bundesregierung reguläre Arbeitsplätze entlasten

Fast eine Million Beschäftigte verdienen mit ihrer Arbeit so wenig, dass sie zusätzlich Hartz IV erhalten. Die Lage dieser Menschen will die FDP nun dadurch verbessern, dass ein geringerer Teil des selbstverdienten Geldes mit der staatlichen Unterstützung verrechnet wird. Bis Mitte Oktober soll ein Beschluss der Regierung vorliegen. Wirtschaftsforscher aber kritisieren diese Reformversuche.

Für Pascal Kober, den Sozialexperten der FDP im Bundestag, ist es dagegen ein „Gebot der Fairness“, dass Hartz-IV-Bezieher künftig mehr vom eigenen Lohn behalten dürfen. Heute müssen Arbeitnehmer mit Minijobs den größten Teil ihres Verdienstes abgeben, wenn sie gleichzeitig Arbeitslosengeld II erhalten. Wer 400 Euro pro Monat Lohn erwirtschaftet, muss 240 Euro abliefern. Diese Summe wird mit Hartz IV verrechnet. Darin sieht Kober ein Hindernis auf dem Weg zu besser bezahlten Jobs. „Wenn man einen großen Teil des eigenen Verdienstes abgeben muss, fehlt der Anreiz, sich hochzuarbeiten.“

Um dem Missstand abzuhelfen, hat die FDP ein Modell entwickelt, das sie der Union nun schmackhaft machen will. Danach könnten die arbeitenden Hartz-IV-Bezieher knapp die Hälfte ihrer Löhne selbst behalten. Der Industrie- und Handelskammertag und der Arbeitgeberverband, die die Unternehmen vertreten, unterstützen die Vorschläge.

Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, ruft nun aber den Widerspruch von Wissenschaftlern hervor. Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht in der Ausweitung des anrechnungsfreien Hinzuverdienstes vor allem einen Anreiz für Firmen, schlecht bezahlte Tätigkeiten anzubieten. Viele Arbeitgeber würden kleine Teilzeitjobs einrichten oder die Löhne senken, so Brenke, weil sie wüssten, dass der Staat einen Teil der Bezahlung via Hartz IV beisteuert. „Das ist ein sehr teurer Kombilohn“, sagt der Ökonom – kostspielig für den Staat, billig für die Unternehmen.

Brenke plädiert deshalb dafür, besonders sehr kleine Einkommen komplett mit dem Arbeitslosengeld II zu verrechnen. Erst aufwärts von Verdiensten ab 400 oder 500 Euro sollten die Minijobber einen Teil behalten dürfen. Das, so erklärt der DIW-Forscher, würde für Arbeitnehmer den Anreiz ausüben, sich nicht in der Kombination aus Minijob und Hartz IV einzurichten.

Aus einem anderen Grund bezeichnet Helmut Rudolph vom Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) die FDP-Vorstellungen als „falschen Ansatzpunkt“. Die FDP betreibe symbolische Politik, wenn sie Niedriglöhnern mittels des höheren Selbstbehalts einen Anreiz geben wolle, besser bezahlte Jobs zu suchen. Denn „die geeigneten Arbeitsmöglichkeiten fehlen“, so Rudolph. Für gering qualifizierte Arbeitnehmer sei es oft kaum möglich, eine Stelle zu finden, die ihnen ein mittleres Einkommen erbringe. Rudolph schlägt deshalb vor, eher bei den regulären, sozialversicherungspflichtigen Stellen anzusetzen. Wer gering qualifizierten Beschäftigten helfen wolle, müsse Vollzeitstellen im unteren Bereich von den Sozialabgaben entlasten und sie damit für Firmen attraktiver machen.

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Hinzuverdienst bei Hartz IV

Die aktuelle Regelung: Wer heute Arbeitslosengeld II bezieht und zusätzlichen Lohn erarbeitet, kann die ersten 100 Euro selbst behalten. Zwischen 101 und 800 Euro werden 80 Prozent des eigenen Verdienstes verrechnet und reduzieren die Hartz-IV-Leistung. Zwischen 801 und 1.200 Euro sind es 90 Prozent.

Das FDP-Modell: Eigene Verdienste bis 200 Euro werden komplett mit dem ALG II verrechnet. Zwischen 201 und 400 Euro sollen die Beschäftigten jedoch 40 Prozent behalten dürfen, zwischen 401 und 1000 Euro 50 Prozent.