Mindestens 400 Euro müsse die Unterstützung für Hartz-IV-Empfänger pro Monat betragen, sagt Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Wenn „die Regierung die Privilegien der Reichen reduziert“, sei genug Geld dafür vorhanden
Hannes Koch: 20 Euro mehr pro Monat für Hartz-IV-Empfänger – über diese Erhöhung berät am Sonntag die schwarz-gelbe Koalition. Würde dieser Betrag die Arbeitslosen aus der Armustfalle befreien?
Ulrich Schneider: Heute beträgt der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II für Erwachsene 359 Euro. Damit kommt man kaum über den Monat. Auch mit 20 Euro mehr würde sich das nicht ändern. Die Menschen blieben in Armut.
Koch: Um wieviel Euro sollte die Unterstützung steigen?
Schneider: Bei allen Beträgen, die unter 400 Euro pro Erwachsenem im Monat liegen, sind wir sehr skeptisch. Und ich nehme an, dass das Bundesverfassungsgericht dies ähnlich beurteilen würde.
Koch: CDU-Arbeitsministerium Ursula von der Leyen lässt die Sätze neu berechnen. Wird dabei mehr herauskommen, als eine Erhöhung um 20 Euro?
Schneider: Wenn von der Leyen den finanziellen Bedarf der Menschen transparent, vollständig und wirklichkeitsnah ermitteln ließe, müsste die Erhöhung großzügiger ausfallen. Wie man nun aber aus der Regierung hört, sollen die Kosten für Tabak und Alkohol herausgerechnet werden. Das deutet auf den erneuten Versuch hin, den Mindestsatz künstlich niedrig zu halten.
Koch: Wie begründen Sie, dass die bisherige Zahlung nicht ausreicht?
Schneider: Die Arbeitslosen können ihren Mindestbedarf nicht befriedigen. Der bisherige Regelsatz reicht beispielsweise kaum für eine gesunde Ernährung aus. Mit einem Betrag von 123 Euro im Monat für Lebensmittel kann man nur die billigsten Produkte kaufen, die oft keine ausgewogenen Nährstoffe enthalten. Ähnlich ist es beim Betrag, der für öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung steht. 14 Euro sind meistens nicht genug, um einen Monat lang Busse und Bahnen zu benutzen.
Koch: Die Regierung will mehr Geld für die Bildung von Kindern in Hartz-IV-Haushalten zur Verfügung stellen. Löst das nicht schon wesentliche Probleme?
Schneider: Von der Leyens Weg, zusätzliche Bildungsangebote für Kinder zu finanzieren, ist grundsätzlich richtig. Das sollte aber möglichst unbürokratisch geschehen – nicht mit Gutscheinen, sondern beispielsweise mit Familienpässen. An der Notwendigkeit, den Hartz-IV-Satz zu erhöhen, ändert das aber nichts.
Koch: Für die bessere Unterstützung der Arbeitslosen stehen im Bundeshaushalt 2011 schon 480 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Wieviel Geld würde die Erhöhung kosten, die Sie fordern?
Schneider: Man müsste mit etwa sieben Milliarden Euro Mehrausgaben rechnen.
Koch: In diesem Jahr macht der Bund über 50 Milliarden Euro neue Schulden. Haben Sie Verständnis dafür, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unter diesen Umständen auf die Bremse tritt?
Schneider: Ich habe kein Verständnis dafür, dass Deutschland ein Steuerparadies ist, und die Vermögende einen viel zu geringen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Die Belastungen für Arm und Reich sind völlig unausgewogen. Deshalb hat die Regierung kein moralisches Recht, den Ärmsten das zum Leben Notwendige vorzuenthalten.
Koch: Was müsste passieren, um die Politik ausgewogen zu gestalten?
Schneider: Die Regierung müsste die Privilegien der Reichen reduzieren. Die Steuer für Erbschaften liegt heute effektiv bei 2,5 Prozent. Das ist viel zu niedrig. Und auch der Spitzensteuersatz für Bezieher hoher Einkommen sollte wieder steigen. Dann wäre genug Geld vorhanden, um Millionen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen.
Info-Kasten I
Ulrich Schneider (52) leitet den Paritätischen Wohlfahrtsverband, der rund 10.000 Mitgliedsorganisationen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich vertritt.
Foto von Ulrich Schneider
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Info-Kasten II
Hartz IV
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes muss die Bundesregierung die Leistungen des Arbeitslosengeldes II neu berechnen. Am Sonntag will die Regierung über die Zahlen beraten. Sozialverbände und Opposition fordern höhere Regelsätze und damit Staatsausgaben. Die Regierung ist zurückhaltend – unter anderem wegen der hohen Verschuldung der öffentlichen Haushalte.