„Einige werden ihre Jobs verlieren“

Ab Mai 2011 dürfen sich Beschäftigte aus Polen, Tschechien oder der Slowakei hierzulande ansiedeln und arbeiten. Und Leiharbeitsfirmen aus diesen Staaten können hier ihre Dienste anbieten – zu den Arbeitsbedingungen im Heimatland. Dann gelten in Deutschla

Frage: Herr Brücker, müssen die Deutschen um ihre Arbeitsplätze bangen, wenn sich der Arbeitsmarkt durch die Arbeitnehmer- und Dienstleistungsfreizügigkeit öffnet?

Herbert Brücker: Beides muss man getrennt betrachten. Wenn wir uns zunächst die Arbeitnehmerfreizügigkeit ansehen, dann ist mit einem gewissen Anstieg der Zuwanderung zu rechnen. Das haben wir in Großbritannien und Irland auch schon erlebt, als dort der Arbeitsmarkt geöffnet wurde. In beiden Ländern gab es eine deutliche Zuwanderung. Inzwischen ist der Zuwachs durch die Finanzkrise aber weniger geworden. Und aus Irland wandern sogar mehr Leute ab.
Frage: Aber muss man nicht mit hunderttausenden Zuwanderern rechnen, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen?

Brücker: Nein. Durchschnittlich 250.000 Migranten werden pro Jahr aus den östlichen Beitrittsländern in die westlichen EU-Länder kommen. Zwischen 45 und 60 Prozent davon werden zwar nach Deutschland ziehen. Das wird sich aber kaum auf den Arbeitsmarkt auswirken. Einige Einheimische werden dadurch zwar ihre Jobs verlieren, dafür werden andere gewinnen. Insgesamt wirkt sich die Migration weitgehend neutral auf den Arbeitsmarkt aus.

Frage: Werden Sprachbarrieren nicht viele davon abschrecken, nach Deutschland zu gehen?

Brücker: Tatsächlich spricht die Sprache nicht für Deutschland. Andererseits haben wir günstige wirtschaftliche Bedingungen und eine gute geografische Lage, was auf Großbritannien und Irland weniger zutrifft. Auch wenn die geografische Nähe wegen der Billigflieger nicht mehr so eine wichtige Rolle  spielt, dürfte die zunehmende Fremdenfeindlichkeit der Briten viele Auswanderungswillige abschrecken.

Frage: Wird es die Löhne drücken, wenn 100.000 zusätzliche Arbeitnehmer hierzulande ihre Arbeit anbieten?

Brücker: In dieser Größenordnung wird sich das nicht negativ auf die Löhne auswirken. Kurzfristig werden die Löhne sinken und die Arbeitslosigkeit ansteigen. Doch auf lange Sicht wird Deutschland von der Zuwanderung gesamtwirtschaftlich profitieren. Die Produktion und der Anteil der Beschäftigten am Arbeitsmarkt werden steigen. Denn die meisten Zuwanderer werden arbeiten. Das entlastet die Rentenkassen und verbessert die Altersstruktur.

Frage: Und welche Auswirkungen wird die Dienstleistungsfreizügigkeit mit sich bringen?

Brücker: Wenn eine polnische Firma ihre Dienstleistungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt anbietet, bedeutet das im Extremfall, dass sie polnische Löhne zahlt. Das würde die Wettbewerbsbedingungen verzerren. Allerdings schützt das Entsendegesetz die meisten sensiblen Branchen wie das Bau- und Reinigungsgewerbe durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tariflöhnen oder branchenspezifische Mindestlöhne vor ruinösem Wettbewerb. Dann müssen deutsche Löhne bezahlt werden.

Frage: Wird die Öffnung des Arbeitsmarkts den Fachkräftemangel in der Gesundheitsbranche beheben?

Brücker: Nur bei den examinierten Kräften sehen wir einen chronischen Mangel. Wir hoffen, dass sich die Situation verbessert, wenn sich der Arbeitsmarkt öffnet. Es wäre aber naiv zu denken, dass wir massenhaft Angebote von Fachkräften bekommen. Es zieht ja eher junge Leute nach Deutschland. Die sind zwar gut ausgebildet, wollen aber eher einen coolen Job wie Barkeeper oder DJ machen und danach wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Der Arbeitsmarkt honoriert Auslandserfahrungen, egal welcher Art. Unter die coolen Berufe fällt der Pflegeberuf mit Sicherheit nicht.

Bio-Box: Herbert Brücker (50) ist Leiter der Abteilung für internationale Vergleiche und europäische Integration des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Der Professor für Volkswirtschaftslehre ist seit 2005 bei der Nürnberger Forschungseinrichtung tätig.