Nach dem Staat sind die Kirchen der größte Arbeitgeber in Deutschland / Sonderrechte sorgen für Kritik
Pfarrer im Arbeitskampf oder kirchliche Pfleger im Ausstand? Das hat es bisher nicht gegeben. „Gott kann man nicht bestreiken“, glaubt Pastor Günther Barendorff, der Sprecher der Diakonie Rheinland-Westfallen-Lippe. Kurz zuvor hat ein Gericht Streikaufrufe der Gewerkschaft Verdi für die Diakonie gestoppt. Im kommenden Januar wird wohl die nächste Instanz darüber befinden, ob der christliche Auftrag zur Nächstenliebe mit der Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten vereinbar ist.
Grund des Streites der im Grundgesetz verankerte Sonderstatus der Kirchen in Deutschland. Betriebsräte und Mitbestimmung kann es, muss es aber nicht geben. Streiks sind erst recht nicht erwünscht. Gegen die in der Wirtschaft sonst üblichen Gepflogenheiten der Konfliktbereinigung bis hin zum Arbeitskampf stellen beide Konfessionen den „dritten Weg“. Meinungsverschiedenheiten räumt eine Schlichtungskommission aus dem Weg.
Mit gut 1,3 Millionen Beschäftigten sind die beiden großen Amtskirchen nach dem öffentlichen Dienst zusammengenommen der größte Arbeitgeber des Landes. Allein für das Diakonische Werk sind derzeit 435.000 Menschen in 27.000 Einrichtungen tätig. Die katholische Caritas als größter gemeinnütziger Träger kommt sogar auf 590.000 Beschäftigte. Dazu kommen noch das direkt bei den Kirchen angestellte Personal, also zum Beispiel Pfarrer und Gemeindehelfer, sowie die in den zugehörigen Unternehmen Tätigen.
Zu den Aufgaben der Werke gehört vor allem die Pflege. Das Bundesarbeitsministerium beziffert den Marktanteil der gemeinnützigen Träger in der stationären Pflege auf 55 Prozent. Damit haben die Kirchen den privaten Pflegeunternehmen klar den Rang abgelaufen.
Kirchen und Unternehmen stehen im Wettbewerb. „Wir beobachten seit etwa fünf Jahren eine zunehmende Marktorientierung der Diakonie“, sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk. Die Gewerkschaft wirft evangelischen Sozialdiensten Lohnddruck vor, um durch günstigere Angebote als die Konkurrenz an die öffentlichen Aufträge zu kommen. Die arbeitsrechtliche Sonderstellung ermögliche dies, weil den Arbeitnehmern weniger Rechte zugestanden würden. Laut Verdi liegen die Löhne bei der Diakonie teilweise um bis zu 20 Prozent unter denen des öffentlichen Dienstes. Die Caritas hält dagegen mit den öffentlichen Tarifen Schritt.
Der besondere Status der Kirchen stammt noch aus der Weimarer Zeit und wurde unverändert ins Grundgesetz übernommen. Danach verwalten die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten selber. Das weltliche Arbeitsrecht gilt nur eingeschränkt. Notfalls müssen Kirchenrichter Streitfälle entscheiden.
So viel Nächstenliebe wie in der Bibel legen die kirchlichen Unternehmungen oft nicht an den Tag. „Man merkt nicht, dass es ein christlicher Betrieb ist“, sagt die Mitarbeiterin eines evangelischen Dienstes. Die Sozialträger haben für die Pflege auch nur Mindestlöhnen von 7,50 Euro im Osten und 8,50 im Westen zugestimmt. Wenig Geld für einen harten Job. Und mitunter reagiert vor allem die katholische Kirche hart, wenn Beschäftigte gegen christliche Grundsätze verstoßen. Ein zweiter Eheschluss nach der Scheidung ist zum Beispiel ein Kündigungsgrund. Auch dies ist durch die Verfassung abgesichert.