Krank nach Vorschrift

Wer häufig wegen einer Erkältung oder Zahnschmerzen dem Job fern bleibt, riskiert die Kündigung

Im Durchschnitt sind deutsche Arbeitnehmer 14 Tage im Jahr krank. Und wie bei so vielem gelten auch für die Krankschreibung gewisse Spielregeln. Doch kaum jemand weiß über seine Rechte Bescheid. Beispiele über gängige Annahmen gefällig? Kranke dürfen keine Reisen wagen oder einen Marathon bestreiten. Und ein Nebenjob ist allemal tabu. Freilich, diese Dinge können verboten sein, müssen es aber nicht.

Das Wichtigste vorab: Es ist ein Irrglaube, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – auch AU-Bescheinigung genannt – am dritten Krankheitstag beim Chef auf dem Tisch liegen muss. Vielmehr hat die Abgabe des gelben Scheins spätestens nach dem dritten Kalendertag zu erfolgen. „Wer am Freitag erkrankt, muss die AU-Bescheinigung am Montag einreichen“, veranschaulicht Arbeitsrechtlerin Birte Keppler die Bestimmung. Jedoch können Arbeitgeber den ärztlichen Beleg auch früher verlangen. „Inzwischen regeln Arbeitsverträge häufig schon, dass die Bescheinigung schon am ersten oder zweiten Tag vorzuliegen hat“, so die Stuttgarter Anwältin. Und selbst wenn nichts festgelegt sei, könnten Vorgesetzte die Krankschreibung früher einfordern. Um unnötigen Ärger zu vermeiden, sollten Erwerbstätige sich erkundigen, wie das Unternehmen die Abgabe des ärztlichen Schreibens handhabt.

Zwar sollten Kranke grundsätzlich alle Kraft darauf verwenden, wieder zu genesen. Doch in ihre Wohnung müssen sie sich deshalb nicht gleich einschließen. Einkaufen zum Beispiel, ist erlaubt. „Schließlich müssen sich Erkrankte versorgen können“, begründet Rechtsanwältin Keppler die Regelung. Ob es aber gleich eine Shoppingtour durch die Modehäuser sein muss, solle gut abgewogen sein. Bekommen Kollegen davon Wind, könnte es schräge Blicke geben.

Schräge Blicke mag sich freilich keiner einfangen. Doch oftmals haben Krankgeschriebene schon bei alltäglichen Besorgungen ein schlechtes Gewissen: Kollegen könnten ja denken es ginge ihnen gar nicht so schlecht. In diesem Fall rät Juristin Keppler, mit den Kollegen offen über die Art der Erkrankung zu sprechen. Das beuge Missverständnissen vor. Was tatsächlich alles erlaubt ist, wenn das Mittelohr entzündet oder das Bein gebrochen ist, hängt vom Einzelfall ab. „Manchmal gestatten die Gerichte sogar einen Nebenjob oder eine Reise“, sagt Keppler. Bei einer psychischen Erkrankung könne Zeitungen austragen durchaus okay sein. Und mitunter verhelfe ein Kuraufenthalt zur Genesung. Selbst ein Marathonlauf sei drin – wenn es denn der Arzt empfehle.

20, 30 oder sogar 40 Tage: Wie oft und wie lange Arbeitnehmer im Jahr fehlen dürfen, ist nicht festgeschrieben. „Bei lang anhaltender Krankheit können Arbeitgeber Mitarbeiter jedoch nach einem Zeitraum von rund einem Jahr kündigen“, so Fachanwältin Keppler. Hüten Angestellte häufiger für kurze Zeit das Bett, ist eine Kündigung zulässig, wenn sie mindestens 30 Prozent der jährlichen Arbeitstage versäumen. Auch wenn Beschäftigte ihre Arbeit definitiv nicht mehr verrichten können, darf die  Geschäftsleitung die Entlassung aussprechen.

Sechs Wochen lang bekommen kranke Mitarbeiter den normalen Lohn vom Arbeitgeber weiterbezahlt – vorausgesetzt es handelt sich um dieselbe Krankheit. Danach springt die Krankenkasse ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Beschäftigten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr beim Unternehmen krank melden müssen. Ziehen sich Grippe oder Lungenentzündung länger hin als ursprünglich angenommen, müssen Betroffene dem Arbeitgeber die Folgebescheinigungen vom Arzt vorlegen. „Tun sie das nicht, zählt das als unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz“, so Keppler. Und das könne eine Abmahnung und bei Wiederholung die Kündigung bedeuten.

Manchmal bezweifeln Vorgesetzte, dass es ihren Angestellten wirklich so elend geht, wie diese es behaupten. Doch zum Betriebsarzt schicken dürfen sie die Kranken – oder eben die vermeintlich Kranken – deshalb noch lange nicht. Um zu überprüfen, ob die Vertriebsleiterin wirklich mit Fieber das Bett hütet oder der Lackierer an einer Lebensmittelvergiftung leidet, kann jedoch der Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu Rate gezogen werden. Ein Arzt der Kasse stellt dann eine Diagnose. Um Mogeleien aufzudecken, darf der Chef sogar einen Detektiv anheuern oder selbst zum Spion werden – wenn er den begründeten Verdacht hegt, dass es sich um arbeitsvertragswidriges Verhalten handelt. Gesetze dürfen die Schnüffler aber nicht übertreten.

Wer arbeitsunfähig ist, muss dies dem Unternehmen im Übrigen umgehend mitteilen, wenn möglich noch vor Arbeitsbeginn. Dabei empfiehlt es sich, die Form zu wahren: „Eine SMS an eine Kollegin mit dem Inhalt ,Bin krank’ wirkt unseriös“, so Fachanwältin Keppler.