Macht und Ohnmacht der Politik

Vor zwei Jahre ging die US-Bank Lehman-Brothers pleite. Seitdem haben die Regierungen ihr Versprechen, die Finanzmärkte zu zügeln, nur teilweise eingehalten

Die wichtigsten Regierungen der Welt rückten ganz eng zusammen, als am 15. September vor zwei Jahren die US-Bank Lehman Brothers Konkurs anmeldete. Es dauerte nur wenige Wochen, bis in Washington der erste Krisengipfel der G20-Gruppe stattfand. Der durch den Zusammenbruch der Bank versinnbildlichte globale Schock ließ mit großer Geschwindigkeit eine neue Form der politischen Kooperation entstehen, die es in dieser Intensität im Weltmaßstab vorher nicht gegeben hatte.

Die Regierungen der USA, China, Indiens, Deutschlands und der übrigen G20-Mitglieder machten dabei eine sehr weitgehende Ansage: „Alle Finanzmärkte, Produkte und Akteure sollen reguliert oder beaufsichtigt werden.“ Plötzlich bekannten sich auch westliche Regierungen zum Primat der Politik – ein erstaunlicher Umstand nach mehreren Jahrzehnten liberaler Wirtschaftspolitik, die den Staat hatte zurückdrängen sollen.

Wie kam es dazu? Und vor allem: Haben die Regierungen ihre Absichtserklärung verwirklicht? Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sah in der Situation nach dem Lehman-Zusammenbruch die Gefahr einer globalen „Kernschmelze“. Der aus der Atomtechnologie entlehnte Begriff sollte sagen: Nachdem die Investmentbank Lehman durch den Wertverlust spekulativer Immobilienpapiere zahlungsunfähig war, drohte ein ähnliches Schicksal nicht nur vielen anderen Banken und Versicherern, sondern das gesamte Finanzsystem stand am Abgrund. Würde man morgen noch Geld aus dem Bankautomaten bekommen? Um der Panik vorzubeugen, stellten sich Kanzlerin Merkel und Steinbrück vor die Kameras und übernahmen eine Garantie für die Ersparnisse der Bundesbürger.

Damit es nicht noch einmal zu einer solch dramatischen Situation komme, wollten die Regierungen den Banken Fesseln anlegen. Und tatsächlich ist seit 2008 einiges passiert. Der Spielraum für Finanzinstitute, risikoreiche Geschäfte zu tätigen, ist enger geworden. So hat die Europäische Union drei Aufsichtsbehörden für den Finanzsektor gegründet, den Instituten wurde verboten, Transaktionen außerhalb ihrer offiziellen Bilanz zu verbuchen, und bald werden die Banken mehr eigenes Geld als Krisenvorsorge in Reserve halten müssen.

Andere wichtige Schritte der Regulierung dagegen sind bisher unterblieben. Einen Finanz-TÜV gibt es nicht, die Banken können weiterhin abenteuerliche Wertpapiere auf den Markt bringen. Die Rating-Agenturen, die die spekulativen Immobilienpapiere vor der Krise viel zu positiv bewerteten, treiben nach wie vor ihr Unwesen. Und der Finanzsektor muss bislang kaum für die horrenden Kosten der Krise aufkommen.

Eine Regulierung „aller Märkte, Produkte und Akteure“? Wohl kaum. Für diese gemischte Bilanz tragen auch die Regierungen Verantwortung. Je länger der Lehman-Kollaps zurückliegt, desto eher können sich die nationalen Wirtschaftslobbys wieder Gehör verschaffen und scharfe Gesetze verhindern. In mancher Hinsicht ist der Primat der Politik allerdings wirksam – wenngleich auf unheilvolle Art. Wenn die US-Regierung ihr Land weiter mit billigem Geld überschwemmt, schafft sie die Voraussetzung für weitere Finanzblasen – und damit für die nächste Krise.

Info-Kasten

Der Lehman-Crash

Am 15. September 2008 beantragte Lehman Brothers, eine der großen US-Investmentbanken der Wall Street in New York, Schutz vor ihren Gläubigern. Das Institut besaß große Mengen von Immobilien-Wertpapieren, die seit 2007 stark an Wert verloren hatten. Im Gegensatz zum ähnlichen Fall der Investmentbank Bear Stearns wenige Monate zuvor, wollte die US-Regierung die Übernahme von Lehman durch die britische Barclays Bank finanziell nicht unterstützen. Das Ergebnis: Lehman brach zusammen. Weltweit liehen sich die Banken aus gegenseitigem Misstrauen kein Geld mehr. In Deutschland implodierte die Münchner Bank Hypo Real Estate. Bis heute haben die Regierungen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer rund 700 Milliarden Euro für die Rettung ihrer Banken ausgegeben.

Koch